Save it! Über den Wert des Wassers
Nichts beruhigt so sehr, wie einfach aufs Wasser zu schauen. Ob in München an der Isar, am Lago Maggiore oder an der Atlantikküste. Man kann seinen Gedanken nachhängen und dem sanften Rauschen der Wellen oder des Flusses lauschen. Unweigerlich landet man irgendwann bei den wichtigen Themen des Lebens.
Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Was mache ich mit meinem Leben, und warum kann ich nicht übers Wasser gehen?
Zumindest letzteres hat das Künstlerduo Christo (†2020) und Jeanne-Claude (†2009) 2016 für eine kurze Zeit möglich gemacht. Im Projekt The Floating Piers verband der kürzlich verstorbene Künstler die Italienische Stadt Sulzano in Norditalien über den Iseo-See mit den Inseln Monte Isola und Isola di San Paolo. Über einen Steg aus 220.000 Polyethylen-Würfeln, der mit einem leuchtend gelben Stoff bespannt wurde, konnten Besucher sprichwörtlich übers Wasser gehen und anders als bei einer Brücke die Bewegung des Wassers unter den Füßen spüren.
2018, Installation Kulturort Galerie
Weiertal, Winterthur, Schweiz
zum Thema "Grenzenlos"
Auch für viele andere Künstler*innen ist die Kraft des Wassers Motivation und Inspiration zugleich. sculpture network Mitglied Nora Vest ist schon lange fasziniert von dem Element. Sie hält sich oft am Wasser auf und nimmt seine stetige Veränderung wahr: „Es ist immer anders, je nach Wetter, Licht, Tageszeit, Jahreszeit, Spiegelung.“ Vor allem der Teich in Weitertal ist für die Künstlerin ein inspirierender Ort. Ihr Werk Grenzenloses Wasser hat sie daher auch an diesem Ort installiert. Fotografien dieses Teichs sowie anderer Gewässer wurden miteinander zu einem vielschichtigen Bild verwoben und auf Gitternetzstoff gedruckt, der über den Steg „fließt“ und damit den Teich über seine Grenzen hinaus erweitert. Die verwendeten Wasseraufnahmen erzählen jeweils ihre eigene Geschichte und laden so zu einer Entdeckungsreise ein. Sie nehmen den Ort auf und verfremden ihn zugleich.
Wasser kann wie in Nora Vests Werken friedlich sein, behäbig, entspannend, es kann aber auch wild, aufregend und gefährlich sein, kann uns herausfordern oder sprichwörtlich bis zum Hals stehen, so wie dieser Skulptur des US-Präsidenten Trump, die anlässlich der UN-Klimakonferenz in Katowic 2018 errichtet wurde und die nach und nach im Wasser versank, um auf die Bedeutung des Klimaschutzes hinzuweisen.
your feet", oben: Entwurf Lichtinstallation
Ein Projekt des sculpture network Mitgliedes Herbert W. H. Hundrich folgt diesem Ziel ebenso. Sein Projekt The ocean begins under your feet, dessen Konzept für die Achitekturbiennale in Venedig 2020 (auf 2021 verschoben*) entwickelt wurde, ist der Stadt Venedig gewidmet, die heute in Europa am unmittelbarsten vom Klimawandel, dem explodierenden Tourismus und der Kreuzfahrtindustrie betroffen ist. Im Plazzo Bembo, dem Eingangsbereich des Palazzo Mora und den Giardini della Marinaressa werden Lichtinstallationen zu sehen sein, die den Titel The ocean begins under your feet projizieren und die wichtige Aussage des Künstlers in diesem Satz allgegenwärtig machen:
„Mein Projekt trifft die aktuelle Situation des Klimawandels, ist ein Appell an die Verantwortung von
Politik, Architekten, Künstlern und an die Menschen. Ein Aufruf zu mehr Achtsamkeit und Respekt gegenüber der Natur, insbesondere dem Wasser, dem lebenserhaltenden und lebenspendenden Element.
Der Klimawandel unterscheidet die Menschen nicht nach Hautfarbe, Religion oder ethnischer Herkunft, arm oder reich – er zwingt die Menschheit zur Zusammenarbeit und verlangt Beiträge von jedem Einzelnen, damit jegliches Leben auf dieser Welt lebenswert wird“.
Nach der Architekturbiennale in Venedig sollen außerdem Bronzeplaketten für öffentliche Plätze und Gärten herausgebracht werden.
Im Zuge der Klimaerwärmung wird Wasser ein zunehmend knappes Gut. Der Zugang zu sauberem Trinkwasser wird durch Umweltverschmutzung und Privatisierung an vielen Orten der Welt stark erschwert oder ist gar unmöglich. Das elementare Wasser wird damit zu einem Luxusartikel dessen Wert an den des Goldes reicht. Der französische Künstler Parse/Error hat diesen absurden Wert erkannt und in seinem Werk Value of Water in eine klare visuelle Sprache überführt: Barren aus Wasser**, die wie klassische Goldbarren geformt sind. Der Künstler führt mit seinem Projekt in „eine dystopische Zukunft, in der Wasser das Geld ersetzt hat. Klares und transparentes Wasser, wie wir es kennen, gehört nun der Vergangenheit an, und Trinkwasser ist zu einem echten Privileg in einer Welt geworden, die von Verschmutzung überwältigt ist. Wasser ist nicht länger ein Recht, sondern ein privates Gut, das vermarktet wird und der Spekulation unterliegt. Wasser ist zu einem Luxus geworden, der für eine Elite reserviert ist, ein sicherer Hafen wie Gold.“
Auch sculpture network Mitglied Manfred Hellweger und seine Lebenspartnerin Sandra Brugger haben ihre eigene Sprache gefunden, um die Kostbarkeit des Wassers zum Ausdruck zu bringen. Die Installation Hanzaflow, die 2018 in St. Anton am Arlberg realisiert wurde, besteht aus 400 sogenannten Hanza bzw. Heumännchen, Werkzeugen die früher für die Heuernte verwendet wurden. Die Hanza wurden in Regenbogenfarben lackiert und in Form eines Flusslaufs vom Arlberg hinab bis zum Verwallstausee gesetzt.
Obwohl sich der Hanzaflow harmonisch in die Berglandschaft einfügt, ist das Werk mit seinem Farbverlauf von Kiwigrün über Hellblau, Dunkelblau, Magenta, Rot und Orange bis Gelb doch auch ein starker Blickfang. Die Mündung im Verwallstausee unterstreicht den Grundgedanken des Künstlerpaares: die regenbogenfarbige Flussform steht symbolisch für die Kostbarkeit des Wassers. Die Region war in den vergangenen Jahren immer wieder von Trockenheit betroffen. Die Hanza selbst stehen drüber hinaus für die Wertschätzung der Bauern und deren Arbeit.
Gemein ist allen vorgestellten Werken, dass sie die Betrachter*innen nachdenklich hinterlassen, mehr Fragen aufwerfen als sie beantworten. Vor allem Fragen sie nach dem Wert des Wassers in unserer Gesellschaft.
*Das Projekt 2021 The ocean begins under your feet im Plazzo Bembo und dem Eingangsbereich des Palazzo Mora, wird vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern, gefördert.
**tatsächlich handelt es sich um Kunstharz
Martina Fischer ist Kunsthistorikerin und Project Managerin bei sculpture network. Die Idee für diesen Artikel kam ihr – wie könnte es anders sein – am Wasser.
Titelbild: Parse/Error - "Value of Water", 2018 – Transparenter Kunstharz, Silikonformen