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Licht und Skulptur

"Light on Sculpture" ist 2020 unser Thema. Nachdem wir uns im November mit der dunklen Seite der Skulptur beschäftigt haben, möchten wir gleich zu Beginn des neuen Jahres einen Blick auf die Bedeutung des Lichts in der dreidimensionalen Kunst werfen. Unsere Gastautorin Ursula Karpowitsch und Projektmanagerin Martina Fischer haben sich für uns mit dem Thema auseinandergesetzt.

„Fiat lux“, Es werde Licht, heißt es in der Genesis. Der Schöpfungsakt der Welt ist also wesentlich verknüpft mit der Geburt des Lichts. Und bereits in der Antike wurden Theorien zum Licht entwickelt. Doch es dauerte nochmals mehr als 2000 Jahre, bis die Wissenschaftler zu der Erkenntnis kamen, dass Licht Welle und Quantum, also gleichzeitig immateriell und materiell ist. Hell und Dunkel, Licht und Schatten, meist ist Licht positiv besetzt, obwohl wir mittlerweile von Lichtverschmutzung sprechen, wenn wir in den Großstädten keine Sterne mehr sehen, wohl aber ungeheure Mengen an Leuchtreklamen. Die Fotografie zeichnet mit Licht. „Licht in der Architektur“ füllt Bibliotheksbände ebenso wie „Licht in der Malerei“. Das Hell-Dunkel bei Rembrandt, die dramatische Lichtinszenierung bei Caravaggio und das Licht des Augenblicks bei den Impressionisten mögen stellvertretend genannt werden.

Die Giacometti-Ausstellung in Wolfsburg (Ende 2010 Anfang 2011) mit dem Untertitel Der Ursprung des Raumes vertritt die These, dass der Schweizer Bildhauer Erfinder des virtuellen Raumes sei. Dort wurde für den Taumelnden Mann ein kreisrunder Raum mit ca. acht Metern Durchmesser gebaut, um den Betrachter, der „mit taumelt“ zur Suche nach innerer Balance zu provozieren. Giacometti unterscheidet zwischen Betrachterraum und Eigenraum, während James Turrell von „Sensing Space“, dem Raum, in dem der Betrachter von diffusem Licht umflutet wird, und dem „Viewing Space“, dem Raum, in den er blickt und der sich in Licht und Farbe auflöst, so dass das Auge keinen Halt mehr findet und den Betrachter „taumeln“ lässt, spricht. Auf die Anregung von Turrell für die Konzeption der Ausstellung The Wolfsburg Project wird im Katalog ausdrücklich verwiesen und selbstverständlich werden auch Werke aus dessen Schaffen gezeigt. Eines heißt Bridget’s Bardo, Ganzfeld Piece, und ist von 2009. Ganzfelder sind Räume, die in gleichmäßiges, alles einhüllendes Licht getaucht sind.

Turrell studierte Wahrnehmungspsychologie, Kunst, Astronomie und Mathematik. 2013 wandelte der amerikanische Künstler die gesamte Rotunde des Guggenheim Museums in eine Skylight-Installation um. Weltweit gibt es 26 Werke, darunter auch Skyspaces. Ein Skyspace ist ein Raum mit einer Öffnung in der Decke, so dass der freie Himmel sichtbar wird. Die Öffnung kann kreisrund, elliptisch oder quadratisch sein.

Licht kann zur Folter wie auch zur Heilung eingesetzt werden. Erleuchtungserlebnisse und Nahtoderfahrungen sind immer mit Licht verbunden. Wir wissen um die Bedeutung des Wach-Schlafrhythmus und seiner krankmachenden Tendenzen bei Nacht- und Schichtarbeit. Wir behandeln SAD, Seasonal Affective Disorder, die sogenannte „Winterdepression“, mit Licht. Ärzte des Universitäts-Kinderspitals Zürich wandten sich an Turrell und er schuf für dessen junge Patientinnen und Patienten einen begehbaren Raum in Form eines elliptischen Zylinders, beheizbaren Sitzflächen an den Seiten, und einer Bodenfläche, die groß genug ist, um ein Krankenbett hineinzuschieben. Im Dachbereich liegt eine unsichtbare umlaufende Lichtinstallation und im Kuppeldach befindet sich eine elliptische Öffnung, die direkt in den Himmel führt.

Der 1943 in eine Quäkerfamilie hinein Geborene erinnert sich an lange Meditationssitzungen mit seiner Großmutter im Versammlungshaus. Er starrte zur Decke und wünschte sich, das Dach möge sich öffnen und er könne den Himmel sehen. Den Himmel als Sehnsuchtsort hat er sich später als Erwachsener erobert, indem er sich zum Piloten ausbilden ließ. Turrell selbst bezeichnet sein Leichtflugzeug als sein Atelier. Anfang der 70er Jahre entdeckte er von diesem aus in Arizona den ca. 400.000 Jahre alten Roden Crater, einen erloschenen vulkanischen Schlackenkegel. Seither arbeitet er daran, daraus ein monumentales Kunstwerk und Himmelsobservatorium zu schaffen. Einige Räume und Tunnel sind bereits fertig. Tagsüber sieht man durch die Sky Spaces die Sonne, nachts die Planeten und Sterne. Bei Fertigstellung soll der Krater 21 Räume und 6 Tunnel enthalten. Ein solches Mammutprojekt ist ohne Spenden natürlich nicht zu verwirklichen. Einbrüche gab es beim Finanzcrash 2008, doch seither fließen wieder Spendengelder. Außerdem arbeitet er mittlerweile mit der Arizona State University zusammen, die interdisziplinäre Projekte fördert. Die Forschungen betreffen sowohl die Navajo-Indianer, die die Wüste früher besiedelten, gelten der Prähistorie als auch der „Sternenkunde“ und angrenzenden Wissenschaftsgebieten.

Auch in Europa gibt es Großprojekte zum Thema Licht. Exemplarisch hierfür steht das 2012 ins Leben gerufene Amsterdam Light Festival. Während es Festivals (dieses Jahr noch bis Mitte Januar) wird die Stadt Schauplatz verschiedenster Lichtinstallationen internationaler Künstler und Künstlerinnen. Die aktuelle 8. Edition findet unter dem Titel DISRUPT! statt. Die Lichtinstallationen setzten Impulse – ganz bewusst auch Störimpulse und lenken so die Aufmerksamkeit auf gesellschaftliche Fragestellungen und aktuelle Entwicklungen. Das negative Moment der Störung wird so zum Anstoß wichtiger Diskurse oder neuer Sichtweisen.

Nicht erst im letzten Jahr zeigt sich, mit welcher Wucht Naturkatastrophen zunehmend unsere Wirklichkeit und unsere Weltwahrnehmung bestimmen. Überschwemmungen in Venedig, verheerende Brände im Amazonas-Regenwald und aktuell in Australien – Nachrichten, die uns inzwischen fast täglich begegnen und trotzdem keine Normalität erlangen dürfen.

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Tom Biddulph / Barbara Ryan, Surface Tension, Amsterdam Light Festival 2019 - Foto Copyright: Janus van den Eijnden


In Amsterdam setzen sich viele der 20 ausgestellten Kunstwerke mit dem Klimawandel, seinen Ausprägungen, seinen Folgen und der medialen Rezeption auseinander. So die Installation Surface Tension von Tom Biddulph und Barbara Ryans, in der das Katastrophenszenario einer Überschwemmung durch die abstrakten Silhouetten von Autos, Laternenmasten und Straßenschildern als reale Gefahr in unser direktes Umfeld überführt wird. Auch Atlantis von Utskottet setzt sich mit diesem Thema auseinander: Die Legende der untergegangenen Stadt Atlantis wird mit Miniaturen existierender Gebäude illustriert. Neben dem New Yorker Empire State Building ist u.a. auch der Amsterdamer A'dam Tower zu erkennen. Die Globalität der Gebäude zeigt die Globalität der Gefahr.

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Utskottet, Atlantis, Amsterdam Light Festival 2019 - Foto Copyright: Janus van den Eijnden

 

Lassen wir am Ende nochmals James Turrell zu Wort kommen: „Licht hat eine enorme Kraft. Und wir sind mit ihm auf ganz ursprüngliche Weise verbunden. Aber dafür, dass es so machtvoll ist, sind die Gelegenheiten, seine Wirkung tatsächlich zu fühlen, sehr selten. Ich forme dieses Material, soweit das möglich ist. Ich will es so einsetzen, dass man es körperlich spürt, dass man wirklich die Anwesenheit von Licht spüren kann, von Licht, das einen Raum ausfüllt.“

 

 

 

Titelbild: James Turrell, Skyspace (2016), Museum Voorlinden, Wassenaar. Foto: Antoine van Kaam

Über den Autor/ die Autorin

Ursula Karpowitsch

Ursula Karpowitsch interessierte sich anfangs nur für "Flachware", bis sie schimmernde Bronzen entdeckte. Für Sculpture Network schreibt sie Berichte von unseren Veranstaltungen und spannenden Ausstellungen und übersetzt Texte.

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