Ja, VIRGINIA, es gibt einen Weihnachtsmann
Leitartikel aus der NEW YORK SUN vom 21. September 1897 von Francis P. Church (1839–1906)
Wir freuen uns, sofort und damit deutlich auf die folgende Mitteilung zu antworten und gleichzeitig unsere große Freude zum Ausdruck zu bringen, dass ihre vertrauensvolle Autorin zu den Freunden der SUN gehört:
LIEBER REDAKTEUR: Ich bin 8 Jahre alt.
Einige meiner kleinen Freunde sagen, dass es keinen Weihnachtsmann gibt.
Papa sagt: ‚Wenn du es in der SUN siehst, ist es so‘
Bitte sagen Sie mir die Wahrheit: Gibt es einen Weihnachtsmann?
VIRGINIA O´HANLON.
115 WEST NINETY-FIFTH STREET.
VIRGINIA, deine kleinen Freunde liegen falsch. Sie wurden beeinflusst von der Skepsis eines skeptischen Zeitalters. Sie glauben an nichts, dass sie nicht sehen können. Sie glauben, dass nichts existiert, was ihr kleiner Verstand nicht fassen kann. Der Verstand, Virginia, sei er nun von Erwachsenen oder Kindern, ist immer klein. In unserem großen Universum ist der Mensch vom Intellekt her ein bloßes Insekt, eine Ameise, verglichen mit der grenzenlosen Welt über ihm, gemessen an der Intelligenz, die in der Lage ist, die ganze Wahrheit und alles Wissen zu erfassen.
Ja, VIRGINIA, es gibt einen Weihnachtsmann. Er existiert so sicher wie es Liebe, Großzügigkeit und Zuneigung gibt, und du weißt, dass diese im Überfluss vorhanden sind und deinem Leben höchste Schönheit und Freude geben. O weh! Wie trostlos wäre die Welt, wenn es keinen Weihnachtsmann gäbe. Sie wäre so trostlos, als wenn es dort keine VIRGINIAS gäbe. Es gäbe dann keinen kindlichen Glauben, keine Poesie, keine Romantik, um diese Existenz erträglich zu machen. Wir hätten keine Freude außer durch die Sinne und den Ausblick. Das ewige Licht, mit dem die Kindheit die Welt erfüllt, wäre ausgelöscht.
Nicht an den Weihnachtsmann glauben! Du könntest ebenso gut nicht an Elfen glauben! Du könntest deinen Papa dazu bringen, Menschen anzuheuern, die an Heiligabend alle Schornsteine bewachen, um den Weihnachtsmann zu fangen; aber selbst wenn sie den Weihnachtsmann nicht herunterkommen sähen, was würde das beweisen? Niemand sieht den Weihnachtsmann, aber das ist kein Zeichen dafür, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Die realsten Dinge in der Welt sind jene, die weder Kinder noch Erwachsene sehen können. Hast du schon mal Feen auf dem Rasen tanzen sehen? Natürlich nicht, aber das ist kein Beweis dafür, dass sie nicht da sind. Niemand kann sich all die ungesehenen und unsichtbaren Wunder dieser Welt vorstellen oder gar begreifen.
Du kannst eine Babyrassel auseinanderreißen und nachsehen, was den Lärm im Inneren verursacht; aber die unsichtbare Welt ist von einem Schleier bedeckt, den nicht der stärkste Mann, noch nicht einmal die vereinte Kraft aller stärksten Männer, die jemals gelebt haben, auseinanderreißen könnte. Nur Glaube, Phantasie, Poesie, Liebe und Romantik können diesen Vorhang beiseiteschieben und die übernatürliche Schönheit und den Glanz dahinter sehen und betrachten. Ist das alles wahr? Ach, VIRGINIA, in der ganzen Welt gibt es nichts, das realer und beständiger ist.
Kein Weihnachtsmann! Gott sei Dank! er lebt, und er lebt auf ewig. Noch tausend Jahren, Virginia, nein, noch zehnmal zehntausend Jahren wird er weiter das Herz der Kindheit erfreuen.