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Liebes Ding – Object Love

Die Ausstellung „Liebes Ding - Object Love“ zeigt das Verhältnis des Menschen zu den ihn umgebenden Dingen auf. Unsere Autorin Eva Daxl nimmt Sie mit in die derzeit leider geschlossene Ausstellung.

Was ist ein Ding? Und brauche ich es? Gedanken zum Thema „Ding“
Die meisten Menschen besitzen mehr Dinge als sie zum Leben brauchen. Für jeden Menschen gibt es besondere Dinge, die er mehr liebt als andere. Aber auch gleichwertige und sogar gleiche Gegenstände werden von den Menschen unterschiedlich geliebt. So wurde festgestellt, dass Menschen die Dinge die sie besitzen als wertvoller und hochwertiger einstuften als genau gleiche Dinge, die sich nicht in ihrem Eigentum befunden hatten. Das heißt, dass Menschen eine Beziehung zu den eigenen Gegenständen aufbauen und diese dann mehr schätzen als gleiche andere, die sie nicht besitzen.

Ein weiterer Aspekt sich mit Dingen zu umgeben, ist, dass Dinge die Persönlichkeit des jeweiligen Menschen spiegeln und das Eigene zum Ausdruck gebracht werden kann. Mittels der Dinge, mit der sich eine Person umgibt, können Rückschlüsse auf diese durch Betrachter*innen gezogen werden. Dies geschieht ständig und zum Teil unbewusst, ein weiterer Teil jedoch ist individuell gesteuert und oftmals durch die zu betrachtende Person inszeniert. Das lässt Rückschlüsse auf die zu betrachtende Person zu, denn Dingwelten unterscheiden sich nicht nur nach Geschlecht oder deren Zugehörigkeitsgefühl, nach Alter, Gesellschaftsschicht, Bildungsniveau oder Sozialisation und einer geografischen Zuweisung; kann man sich doch mit Dingen auch ohne Worte oder Erklärungen ausdrücken und seine eigenen Interessen, Berufungen und Geschmacksvorlieben mitteilen. Weiters werden Dinge mit Bedeutungen aufgeladen, entweder kollektiv durch die Gesellschaft oder auch von den einzelnen Personen selbst.

Heutzutage besteht ein starkes Interesse an Dingen, die nicht primär zum Leben und Überleben gebraucht werden. Zuerst müssen die Grundbedürfnisse erfüllt sein, danach wird die Wunscherfüllung über eine große Angebotsvielfalt geweckt. Diese Objekte, wie z. B. hochwertige Zweitwohnsitze, Fernseher, Musikanlagen, Küchengeräte, Bücher, usw. werden von der Werbung stark angepriesen und das Interesse daran geweckt, man bekommt das Bedürfnis diese zu besitzen und man häuft so eine Vielzahl von Dingen an, sodass jeder Mensch im Durchschnitt 10.000 Dinge sein Eigen nennt. Diese Vielzahl an Dingen kann dazu führen, das sich die Besitzer*innen zwar nicht mehr an alle Objekte erinnern können, die sie besitzen, aber zu Angstgefühlen oder gar Trauer bei befürchteten oder eintretenden Verlusten tendieren.

Diese Objekte werden mit einer symbolischen Aufladung versehen, die über den reinen Gebrauchswert oder Materialwert hinaus einen eigenen höher stehenden Wert besitzen und ein Prestige generieren. Diese Statussymbole unterstützen die Besitzer*innen, stellen sie somit auf eine vermeintlich höhere Stufe und grenzen so ihre Besitzer*innen von Anderen ab. Welche Objekte in einer Kultur als Statussymbole und welche Dinge überhaupt als erlaubt zu besitzen gelten, legt die Gemeinschaft in einem andauernden und sich wandelnden Prozess über ihre Mitglieder selbst fest.


Was ist das Besondere an „meinem“ Objekt?
Heute findet bei den meisten Dingen schon vor dem Kauf eine starke individuelle Auseinandersetzung mit dem Objekt der Begierde statt. Durch die Vielzahl an „gleichen“ Dingen muss ein Ding, eine damit verbundene Marke unter allen anderen mit ihren Vor- und Nachteilen ausgewählt werden. Diese Entscheidung kann, vor allem bei kostspieligeren Objekten, bedeuten, sich auf Jahre hinaus auf ein und dasselbe Ding festzulegen und mit ihm zu leben. Bei Gegenständen, die kostengünstiger oder gar als Modeartikel bezeichnet werden sind spontan ausgeführte Käufe häufiger zu beobachten.

Während in früheren Zeiten die Dinge zum Leben handgefertigt waren und sich nur Reiche zusätzliche (Luxus-)Artikel leisten konnten, wurde während der Industrialisierung der Konsum einer breiteren Masse zugänglich und für diese bezahlbar. Die Massenfertigung von Gütern ließ den Menschen allerdings wenig Raum für eigenen individuellen Ausdruck der Person durch die vorgefertigten Artikel. Dies ändert sich in neuerer Zeit, viele große Hersteller sind dazu übergegangen, einen Teil ihrer Produkte oder einzelne Teile eines Gegenstandes durch den Kunden individuell gestalten zu lassen, der aus einer großen Vielzahl von Formen, Farben, Materialien und dergleichen wählen kann. Einzelanfertigung aus den Bereichen Handwerk und Design sind für Kunden eine weitere Kaufoption, allerdings kostspieliger als individualisierte Massenprodukte wie z. B. Turnschuhe. Die meisten Menschen berühren gerne Dinge und streichen über ihre Oberflächen oder nehmen diese in die Hand, reagieren auf Gerüche des Dings, auf seine Farben, die Schwere und natürlich auf eventuelle Funktionen. Beim Design der Dinge wird auf diese Aspekte eingegangen und auf die zukünftige Besitzer*innengruppe abgestimmt.


Die Ausstellung Liebes Ding - Object Love
Die interessante und mit 23 internationalen Künstler*innen umfangreich angelegte Ausstellung in Morsbroich befragt das innige Verhältnis zwischen Menschen und ihren Dingen. Gezeigt werden Objekte mittels Fotografien und Videos, als Gemälde, Skulpturen und Installationen in folgenden vier Bereichen:

  • Körper und Dinge – eine intime Beziehung
  • Warum lieben wir Dinge? Aus welchen Bedürfnissen heraus?
  • Die technologische Revolution: Objekte werden immer intelligenter.
  • Die Entstehung der Konsumgesellschaft: Der Ballast der Dinge.
     
Kathrin Ahäuser, Valentina und Valentino, Filmstills aus der Multimedia-Webserie "Du liebes Ding!",
2012–2016, Courtesy die Künstlerin; © Kathrin Ahäuser
 

Im ersten Bereich der intimen Beziehung geht es um die Liebe den Dingen gegenüber. Dieser Bereich zeigt die reale Liebe zu Dingen durch ihre Besitzer*innen auf. Dies kann eine einfache Leidenschaft für das geliebte Ding, wenn etwas mit „Liebe betrachtet“ wird, sein. Das Werk Valentina und Valentino (2012-2016) von Katharina Anhäuser beispielsweise, das die Besitzer*innen und ihre geliebten Dinge zeigt, dokumentiert die Objektophilie; dies bedeutet, dass eine ernste Beziehung zu einem Ding eingegangen wird. Generell gesehen hat jeder Mensch eine gewisse Neigung dazu. Manche Menschen leben diese Form der Liebe allerdings mit allen Aspekten aus. Dies äußert sich darin, dass diese Personen ihre geliebten Gegenstände immer bei sich tragen oder um sich haben möchten und in Trauer verfallen, sollten sie ihr Objekt verlassen müssen. Diese Dinge sind für diese Personen ein richtiger Partnerersatz, sie kommunizieren mit ihnen, umarmen diese, einige heiraten ihre Objekte wie z. B. Tracey Emin. Anhäuser dokumentiert hier einen Bereich des Daseins, der in unserer immer größer werdenden Dingwelt bei vielen Menschen einen immer höheren Stellenwert einnimmt, auch wenn die meisten Menschen eine Heirat oder sexuelle Beziehung zu einem Objekt für sich selbst ausschließen.

Betrachtet man das Werk Freudsche Rektifizierung (2014) von Erwin Wurm wird deutlich, dass die Dinge auch unser Alltagsleben bestimmen. Der Künstler stellt die Betrachter*innen mit seinen Handlungsanweisungen vor die Aufgabe, mit den Gegenständen aus unserem Leben in eine bestimmte, von ihm vorgesehene Aktion zu treten. Allerdings wird durch die Anweisung der Gebrauch des Artikels konterkariert und zunichte gemacht. Es ist schwierig, das Objekt in der vom Künstler vorgesehenen Weise zu benutzen und in dieser Position, wenn auch nur kurz, zu verharren. Dieser Vorgang bricht den traditionellen Skulpturbegriff auf, erweitert ihn und implementiert eine Kritik an unserer Liebe zu den Dingen und ihre Handhabung durch den Künstler. Ebenso wird eine Kritik an den Auswirkungen des Konsums, dem immer mehr Haben-Müssen und dem damit einhergehenden negativen Auswirkungen unbrauchbar gewordener oder nicht mehr gewollter Artikel als (Plastik-)Müll aufgeworfen.

Ari Versluis & Ellie Uyttenbroek, links: Gabberbitches – Rotterdam 1996, rechts: Young Activists – Rotterdam 1997, beide aus der Fotoserie Exactitudes (seit 1994), je 12 Fotografien, C-Prints, gerahmt 100 x 135 cm. Courtesy die Künstler; © Ari Versluis & Ellie Uyttenbroek


Der zweite Bereich der Ausstellung befasst sich mit der Frage warum Menschen Dinge lieben. Das Künstler*nnen-Duo Ari Versluis & Ellie Uyttenbroek thematisiert in diesem Bereich Kleidung als Aussage und Statussymbol. Die Künstler*innen dokumentieren mit Exactitudes (ab 1994) die Abgrenzung zu Anderen und auch ein Dazu-gehören-Wollen zu einer bestimmten Gruppe oder Gesellschaftsschicht. Diese Unterscheidung durch Kleidung trägt zur Anerkennung zu einer bestimmten Schicht oder Gruppe bei und dient dem „Überleben“. Die seriell angelegten Fotografien dokumentieren eine Gesellschaftsschicht an einem bestimmten Ort und in einer bestimmten Zeit. Obwohl auf den Bildern alle einer einzigen Schicht angehören und den dazugehörenden Kleidungsstil tragen, sind subtile Unterschiede bei den einzelnen Personen und ihrer Kleidung feststellbar. Diese seit einem längeren Zeitraum andauernde Fotoserie ist an die groß angelegte Serie von August Sander „Menschen des 20. Jahrhunderts“ angelehnt. Dokumentiert werden hier allerdings, im Gegensatz zu Sander, die Unterschiede zwischen den einzelnen Angehörigen einer Gruppe und machen diese für die Betrachter*innen sichtbar.

Jeroen van Loon, Life Needs Internet, 2017, 50 x 700 cm, 7 Bildschirme, Wandhalterungen und Mediaplayer
Courtesy der Künstler; © Jeroen van Loon; Fhoto: Hanneke Wetzer

Im Bereich der technologischen Revolution wird der Fortschritt, den die Gegenstände in der heutigen Zeit erfahren, thematisiert. Jerome van Loon bearbeitet mit seinem Werk Life Needs Internet (2017) das Internet als Ding. Er stellt fest, dass die Abhängigkeit von der Verfügbarkeit des Internets bei den Menschen von heute groß ist. Für die Menschen ist das Internet ein Gebrauchsgegenstand, ein Ding das Informationen enthält, Kommunikation ermöglicht, für die Arbeit, die Freizeit, das Liebesleben und zur Selbstdarstellung genutzt wird. Mit seinem Werk zeigt der Künstler auch die negativen Seiten des Internetkonsums auf und spricht nicht nur von einem Hinterlassen von persönlichen Spuren im Netz sondern auch von der Abhängigkeit des Menschen von dieser Infrastruktur, die den Menschen bei einem Stromausfall oder einem Cyberangriff in die „Steinzeit“ zurückwerfen kann. Weiters besteht die Möglichkeit, dass Daten irreparabel verloren gehen können. Es besteht die Möglichkeit, dass die smarten Dinge untereinander kommunizieren und in einem weiteren Schritt sich langsam von den Menschen und dem eigentlichen Gebrauchszweck loslösen können. Das Werk von van Loon thematisiert somit die Faszination der Menschen für die Dingwelt „Internet“ in ihrer Gesamtheit, kritisiert aber auch die unbedarfte Herangehensweise und widerspruchslose Nutzung dieser.

Melanie Bonajo, Furniture Bondage (Janneke),
2007, C-Print, 149 x 120 cm, Courtesy die
Künstlerin und AKINCI; © Melanie Bonajo

Im vierten Bereich der Ausstellung wird die Anhäufung von Dingen und den Ballast der Dinge angesprochen. Bei den Werken Furniture Bondage (2007) von Melanie Bonajo geht es um die Masse der Dinge die uns und unser Leben beeinflussen und gestalten. Sie zeigen ausschließlich Frauen, die von ihren Haushaltsgeräten gefesselt sind, oftmals können sie sich auch gar nicht mehr aus einer gebückten Haltung aufrichten. Die fotografische Arbeit zeigt damit die Zeit auf, die wir den Dingen allgemein beim Aufräumen, Umräumen, immer wieder neu arrangieren, widmen. Auch die Zeit die beim Benützen und wieder Säubern der immer gleichen Gegenstände, wie z. B. Teller verbringen, wird angesprochen, zugleich beinhaltet die Arbeit eine feministische Komponente, ist doch die Hausarbeit und das Beschäftigen mit den Dingen häufig zu einem großen Maß immer noch Frauen vorbehalten. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Dinge auch ein gewisses Potential zur Beherrschung der Menschen mit sich bringen, dass sich um die Dinge gekümmert, gesorgt werden muss und jeder Besitz auch Verantwortung bedeutet. Die Arbeit zeigt eine klare Kritik an Massenkonsum auf und spiegelt einen Lebensraum, der, von der Natur entfremdet, nur noch aus Dingen besteht.

In den großformatigen Fotografien Prada I, Prada II (1996, 1997) von Andreas Gursky ist der Luxuskonsum thematisiert. So möchten sich die Besitzer*innen von limitierten und teuren Objekten, wie bei den hier gezeigten Schuhen in den Verkaufsregalen von Prada, von der Masse abgrenzen und so ihren Reichtum zur Schau stellen um damit in der Gesellschaftsordnung aufzusteigen. Der Künstler kritisiert mit seinem Werk, dass durch immer ausgefeiltere Marketingstrategien immer neue Bedürfnisse bei den Kund*innen geweckt werden, und aus diesem Grund immer mehr Produkte hergestellt werden, die auch verkauft werden müssen. Dadurch wird die Ausbeutung von Ressourcen und Arbeitskräften vorangetrieben. Der „Tempel des Konsums“, den Gursky hier darstellt, spiegelt somit den Konsum von Luxusartikeln und was sich hinter dem schönen Schein des (Luxus-)Konsums und der Dingwelt verbirgt.

In der Ausstellung Liebes Ding -  Object Love spiegelt sich der gesamte Kosmos der Dingwelt ebenso wie die Beweggründe für die Benutzer*innen und Besitzer*innen die Dinge begehren und haben wollen. Die gezeigten künstlerischen Ansätze thematisieren von der (sexuellen) Liebe zum Objekt über die Ding-Liebe im Allgemeinen weiters zum technischen Fortschritt den die Dinge erfahren und bis hin zum Ballast der Dinge. Weiters werden kritische und negative Gesichtspunkte des übermäßigen (Massen-)Konsums angesprochen und verdeutlicht. Der Katalog zur Ausstellung enthält, neben der Einführung, auch eine kurz gefasste Geschichte des Konsums und der Dinge. Ebenso werden die Beweggründe und Stellungnahmen der einzelnen Künstler*innen zu ihren Werken gezeigt. Lesen und Anschauen lohnt sich! Denn jeder findet sich in der interessanten Ausstellung zu diesem zeitgemäßen Thema wieder - nennt doch jeder von uns (zu?) viele Dinge sein Eigen.


Die Ausstellung „Liebes Ding - Object Love “ im Museum Morsbroich in Leverkusen ist derzeit leider geschlossen. Weiter Informationen entnehmen Sie bitte der Webseite des Museums. Die interessante und umfangreiche Schau wurde von Fritz Emslander und der sculpture network Koordinatorin Anne Berk kuratiert.

Den Katalog zur Ausstellung kann man beim Verlag für Moderne Kunst online bestellen.

Teilnehmende Künstler*innen:
Kathrin Ahäuser (DE), Thomas Bayrle (DE), Melanie Bonajo (NL), Karsten Bott (DE), Machiel Braaksma (NL), Anton Cotteleer (BE), Danielle Dean (UK/US), Yvonne Dröge Wendel (NL), Maarten Vanden Eynde (BE), Dimitar Genchev (BG/NL), Andreas Gurksy (DE), Ni Haifeng (CN/NL), Jeroen van Loon (NL), Vika Mitrichenko (BR/NL), Olaf Mooij (NL), Ted Noten (NL), Min Oh (KR/NL), Erwin Olaf (NL), Maria Roosen (NL), Superflex (DK), Ari Versluis & Ellie Uyttenbroek (NL) und Erwin Wurm (AT)

 

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Autorin: Dr. Eva Daxl

Eva Daxl absolvierte ein Kunststudium mit plastischem Schwerpunkt. In ihrer PhD-Arbeit schrieb sie über das Thema keramische Materialien in der Kunstkritik. Sie ist daher mit dreidimensionalen Kunstwerken in Theorie und Praxis vertraut.

 

 

Titelbild: Melanie Bonajo, Furniture Bondage (Hanna), 2007, C-Print, 149 x 120 cm, Courtesy die Künstlerin und AKINCI; © Melanie Bonajo

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