Caroline Kampfraath: The Tentacles of the River. Photo: Margareta Svensson
Magazin

„Wir verschmutzen diesen Ort in erheblichem Maße” – Caroline Kampfraath und Die Tentakel des Flusses

Bildhauer*innen sind Meister*innen der Visualisierung und der Überzeugungskraft; mit ihren Werken erzählen sie Geschichten, die in der Erinnerung haften bleiben. Wenn es um das Klima geht, ist ihre Vorgehensweise nicht unbedingt wissenschaftlich oder endzeitlich zu nennen, vielmehr geht es ihnen um Sensibilisierung und Einflussnahme. Caroline Kampfraath zeigt in ihrer Arbeit, dass unser Umgang mit Natur und Umwelt verheerende Spuren hinterlässt. Kann die Gesellschaft davon überzeugt werden, ihr Verhalten zu ändern, um unsere Zukunft auf der Erde zu sichern?

Die Bildhauerin Caroline Kampfraath ist sozial engagiert, sowohl als Künstlerin als auch als Mensch. In ihrem Werk zeigt sie soziale Missstände auf und bezieht sich auch auf die enormen Schäden, die der Mensch in seiner Umwelt anrichtet. Für ihren Auftrag bei der Beratungsfirma Yellow Research in Amsterdam erhielt sie völlig freie Hand. Von der Geschäftsleitung wurde lediglich festgelegt, alle zwei Wochen am kreativen Prozess beteiligt zu werden, wobei sie sich hier besonders für den Denkprozess interessierte, der der Entstehung der Skulptur zugrunde liegt.

Prozess der Entstehung

Caroline fertigte eine einzigartige, rotierende Installation an, die sie vor den Panoramafenstern der Büros mit weitem Blick auf den Fluss IJ installierte.

Was waren die ersten Überlegungen?

„Eine hängende Skulptur erschien mir für diesen Ort besser geeignet als eine stehende, denn die gesamte Front des Büros besteht aus einer 4 x 10 Meter großen Glaswand. Mit meiner Arbeit wollte ich eine direkte Beziehung zwischen dem Fluss IJ und dem, was die Mitarbeiter*innen von Yellow Research dort tun, herstellen. So entstand der Titel "The Tentacles of the River.”

Um welche Art von Beratungsunternehmen handelt es sich? 

„Es handelt sich um ein Beratungsunternehmen, das Wissenschaftler*innen bei der Beantragung von Zuschüssen für eigene Forschungsvorhaben hilft, die darauf abzielen, neue Wege in der Forschung zu beschreiten. Dem Kunden zufolge ähnelt der Prozess der Antragstellung für diese Art von Zuschüssen sehr stark dem Prozess, den Künstler*innen bei der Schaffung eines neuen Werkes durchmachen. Genauer gesagt: Wie sieht der Prozess von der Idee bis zur Umsetzung aus, was wissen Sie nicht, welche grundsätzliche Idee steckt dahinter, warum ist das wichtig für das, was Sie erreichen wollen? Und: Welche Rolle spielen Erkenntnisse und Erfahrungen, wenn Sie mit Ihrer Arbeit eine neue Richtung einschlagen? Wann sollte man sich auf das eigene Wissen und die eigene Einschätzung verlassen und an welchem Punkt sollte man einen Vertrauensvorschuss wagen? Vor allem mit diesen Fragen konfrontierte mich der Auftraggeber während des Entstehungsprozesses.”

Caroline Kampfraath: The Tentacles of the River. Photo: Margareta Svensson
Caroline Kampfraath: The Tentacles of the River. Foto: Margareta Svensson
Fangarme als Metapher

Das zentrale Element von The Tentacles of the River ist eine schwebende Plastiktüte aus transparentem Polyester, die auch als Torso gesehen werden kann. Im Inneren der Tüte befindet sich eine Lunge aus orangefarbenem Baumharz. Um sie herum hängen fünf Quallen, ebenfalls aus Polyester. Deutlich sichtbar sind in zwei Quallen Gehirne, die ebenfalls aus Baumharz gemacht sind.

Ein eher schwer zu fassendes Werk?

„Ich mache bevorzugt Skulpturen, in denen noch etwas Besonderes im Inneren passiert. So kann ich die Form als Behältnis für eine zugrundeliegende Idee nutzen. Da sich diese Arbeit bewegt, bekommt man die unterschiedlichsten Facetten der Installation zu sehen. Auch wenn auf diese Weise die Gesamtheit der Skulptur nie ganz zu fassen ist, aber das ist eben auch meine Absicht.”

Wofür stehen die einzelnen Elemente der Skulptur? 

„Ich möchte mit der Skulptur eine Geschichte in der Geschichte erzählen. Die menschliche Lunge steht für unsere Verbindung zur Natur, die durch die Quallen symbolisiert wird. Der Ast eines Baumes zieht sich durch das Werk und man kann Drachenschnüre sehen. Das Gesamte steht für die umfassendere Geschichte unseres Seins. Das Atmen, das Denken, das Glücklichsein, alles das dringt durch. Letztendlich ist es zu einem positiven Werk geworden, in dem alle möglichen Bezüge hergestellt werden können.”

Caroline Kampfraath: The Tentacles of the River. Photo: Margareta Svensson
Caroline Kampfraath: The Tentacles of the River. Foto: Margareta Svensson

Mikroplastik und globale Erwärmung

Im vergangenen Jahr zeigte das Vitra Design Museum die Ausstellung 'Plastik. Die Welt neu denken'. Zu sehen war ein interessanter Querschnitt von der Entwicklung und dem immer stärkeren Einsatz von Kunststoffen im 20. Jahrhundert bis hin zu den verheerenden Auswirkungen auf Natur und Umwelt in der heutigen Zeit.

Sicher bezieht sich Ihre Installation indirekt auch auf die Plastiksuppe in den Ozeanen und die Plastikmikropartikel in unserem Trinkwasser? 

„Diese Plastiktüte bezieht sich auf unser menschliches Tun, zeigt aber auch die Verbindung auf, die zwischen uns Menschen existiert. Wir alle betrachten diese Entwicklung mit einer gewissen Teilnahmslosigkeit: „Das ist nun mal so". Dieses Mikroplastik ist immerhin überall zu finden. In der Kleidung, in Pullovern, Make-up, in der Zahnpasta… Man findet die Teilchen auch in der Luft und weil man atmet, gelangen sie in die Lunge.

Die Tüte bezieht sich auf den Umstand, dass unsere Umwelt in einem so schlechten Zustand ist; wir verschmutzen die Welt in erheblichem Maße. Überall liegt Plastik herum, im Wasser, auf den Straßen. Wir denken, wir werfen etwas weg, aber schließlich findet es den Weg zurück zu uns, in unsere Körper, wir essen es oder atmen es ein.”

Dann sind da noch die Quallen als Teil der Installation, wie sind die zu verstehen?

„Die Quallen, die aus Polyester geformt sind, stehen als Metapher für die globale Erwärmung. Es ist jetzt beispielsweise für alle möglichen Arten exotischer Quallen möglich im IJ zu überleben, Quallen, die da ganz und gar nicht hingehören. Neue Arten – wie der Krebs – verdrängen bereits vorhandene Arten und weil sie keine natürlichen Feinde haben, werden sie zu einer Plage. Die Erwärmung hat bereits zum Verschwinden vieler Tier- und Pflanzenarten geführt. Letztendlich geht dies alles auf unsere Kosten, wir zerstören uns damit selbst. Denn diese Lungen, diese Gehirne, die in den Quallen sind, das sind wir. Wir sind ein Teil dieses Bildes, mit dem ich zeigen will, ‚wir sind Teil der Natur’.”

Caroline Kampfraath: The Tentacles of the River. Photo: Margareta Svensson
Caroline Kampfraath: The Tentacles of the River. Foto: Margareta Svensson

Die Rolle der Kunst

Klimaaktivisten und Menschen, die sich Sorgen um die Zukunft unseres Planeten machen, fragen sich oft, wie die Mehrheit der Menschheit davon überzeugt werden kann, ihr Konsumverhalten zu überdenken.

„Eine Lösung könnte Verknappung sein: weniger Kleidung, weniger Reisen mit dem Flugzeug, nicht immer gleich das neueste Mobiltelefon kaufen. Also einen anderen Umgang mit Rohstoffen: diese werden knapp. Wir sollten also die heute übliche Form des Konsumierens ablehnen; immer mehr zu konsumieren bringt gar nichts. Wir müssen andere Mittel und Wege zur Erreichung unseres Wohlergehens finden.”

Glauben Sie, die Kunst kann bei diesem Wandel des Verbraucherverhaltens eine Rolle spielen?

„Ganz bestimmt, mir fällt da natürlich das Werk von Barbara Hepworth ein. Damals beschäftigten sich die Künstler*innen sehr stark mit dem sozialen Umbruch. Sie war der Meinung, dass 3D-Kunst Dinge erfahrbar machen kann, weil diese Art von Kunst sehr direkt auf die unmittelbare Umgebung und auf Gefühle reagiert. Diesen Effekt wollte ich auch in meine Skulptur einfließen lassen. Wenn man direkt davor steht, kann man auf der einen Seite hindurchsehen, von der anderen Seite nimmt man wieder ganz andere Dinge wahr. Auch wenn es sich dreht, kann man das Werk nie komplett erfassen. Die Leute werden neugierig und fragen sich: Was passiert da? Kunst kann die Welt nicht verändern, aber sie kann eine Thematik erfahrbar machen. Sie spricht das Bewusstsein der Menschen an; Kunst bereichert unser menschliches Bewusstsein um etwas, das sich niemals ganz in Worte fassen lässt.”

 

Caroline Kampfraath

Caroline ist sozial engagiert, als Mensch wie auch als Künstlerin. In ihrer Arbeit thematisiert sie die Brisanz und Tragweite globaler Krisen, die uns derzeit begleiten und in unser kollektives Bewusstsein eindringen. Ihre Arbeit Dead Dogs Envelope machte auf die Zerrissenheit und Vereinsamung aufmerksam, welche die sozialen Medien oft bewirken. Ihre Installation The Trees Will Weep Upon Us, We'll be Fossils by Then, die 2017 auf der Biennale von Venedig zu sehen war, verdeutlicht den achtlosen Umgang der Menschheit mit der Umwelt: Die Menschheit ist dabei, sich selbst zu vernichten, und alles, was von der menschlichen Zivilisation übrigbleiben wird, sind ein paar zerbrochene Flaschen.

Copyright 2023 © Etienne Boileau

Über den Autor/ die Autorin

Etienne Boileau

Etienne Boileau ist ein in Rotterdam lebender Journalist und Autor.

Galerie

Caroline Kampfraath: The Tentacles of the River. Photo: Margareta Svensson
Caroline Kampfraath: The Tentacles of the River. Photo: Margareta Svensson
Caroline Kampfraath: The Tentacles of the River. Photo: Margareta Svensson
Caroline Kampfraath: The Tentacles of the River. Photo: Margareta Svensson

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