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Seite an Seite

Am 25. Mai 2024 eröffnet der Kunstverein Gütersloh die Ausstellung Seite an Seite mit Werken der Bildhauerinnen Coral Lambert und Marsh Pels. Um herausragende Aspekte der Inhalte und Arbeitsweisen der beiden Künstlerinnen greifbar zu machen, hat ihnen die berliner Bildhauerin und Kuratorin Susanne Roewer je zwei komplexe Fragen zu den gezeigten Werken gestellt.

Betrachtet man die in der Ausstellung gezeigten Werke über ihre reine materielle Setzung hinaus, lässt sich erkennen, dass viele von ihnen Anfangs- und Endpunkte thematisieren und dabei den schmalen Grat zwischen Gegensätzen ausloten, so auch den Grat zwischen Schöpfung und Zerstörung.

Die Arbeiten der beiden Bildhauerinnen stellen höchst unterschiedliche Aspekte einer Welt vor, in der wir nebeneinander existieren.

Dabei hat Seite an Seite bei Lambert und Pels auch eine ganz praktische Konnotation: Beide begegnen sich häufig auf großen Gussveranstaltungen, wo sie ihre individuell im Atelier gefundenen bildhauerischen Lösungen in arbeitsintensiven, dynamischen Materialexperimenten mit der Metallschmelze transformieren.

Coral Lamberts and Marsha Pels
Coral Lamberts and Marsha Pels

Alle drei, Susanne Roewer, Coral Lambert und Marsh Pels, lernten sich persönlich beim Eisengießen in Miami kennen, anlässlich des Shakers and Makers Cast Iron Sculpture Symposiums 2013, geleitet von Lambert, und der International Sculpture Conference.

Susanne Roewer betrachtet die zeitgenössische Skulptur als Produkt des notwendigen Zusammenspiels der Möglichkeiten und Fähigkeiten, die sich der Mensch im Laufe seiner langen Entwicklung erworben hat, und seinem Willen, Dinge, die er nicht greifen kann (wie Kraft, Transzendenz, Vernunft, Freiheit oder Liebe), be-greifbar zu machen. Nationale und internationale Galerien, Museen und Kunstvereine haben ihre Arbeiten ausgestellt.

Coral Lambert in her Studio
Coral Lambert in her Studio

SR: In Deutschland neigen wir dazu, Gießereien als gewaltige Umweltfeinde zu betrachten, auch wenn deren größte industrielle Vertreter, wie beispielsweise Salzgitter, ihre Hausaufgaben längst gemacht haben und massive Umstellungen in den verwendeten Technologien eingeleitet wurden. Wunderlicherweise geht ein gesellschaftliches Gefühl der Reinigung mit dem Verschwinden großer industrieller Anlagen aus dem Landschaftsbild und der Verdrängung des dringend benötigten Stahls einher, dass man meinen könnte, das immer noch dringend benötigte Metall wird durch die emissionsfreie Magie eines fernöstlichen Zauberers erscheinen. Kunst- und Designhochschulen stoßen ihre Gießereien ab, da die Studierenden zu anderen Materialien greifen. Als Direktorin eines der größten zu einer Universität gehörenden Gießereiprogramms, die außerdem in einem Atelier in einem ehemaligen Stahlkocherzentrum arbeitet: Wie stehen für dich die Chancen, dass man im Kunstbetrieb und im industriellen Bereich einen ausgewogenen Diskurs führen kann, wenn künftige Generationen ihre Erkenntnisse vor allem theoretischem und digitalem Material entnehmen können?

 

Coral Lambert: Der Umgang mit und die Rezeption eines solcherart geschmähten Materials lassen nicht unberührt und bringen wertvolle Einsichten, mit denen man in die Diskussion gehen kann. Das trifft besonders für die Kunst und das Arbeiten in der Gießerei zu. Hier lässt sich viel über die menschliche Natur lernen. Alle, die industriellen Gießereien, die Kunstgießereien, aber auch die individuell gießenden Künstlerinnen und Künstler, bekommen automatisch eine starke Verbindung zur 5000jährigen Geschichte der menschlichen Nutzung des Metalls. Ich betrachte meine Gusspraxis als beschleunigte Version natürlicher Vorgänge. Das beinhaltet so janusköpfige Prozesse wie Abbauen/Stehlen, Schaffen/Maloche oder Manipulieren/Kopieren. So wurde während meiner Performance Garden of Fiery Delights, die eigens für ein ehemaliges deutsches Stahlwerk, das heutige Industriemuseum Brandenburg an der Havel, konzipiert wurde, der Eisenguss für kurze Zeit wiederbelebt – im Schatten der schlafenden Hochöfen. Ein Schmelzofen besitzt neben seiner praktischen auch eine symbolische Bedeutung. In der Alchemie wurde er nie nur als Apparat zum Erhitzen und Reinigen des Metalls betrachtet. „Schmelzöfen waren eine neue Matrix, eine Art künstlicher Uterus, in dem das Erz seine volle Reife erlangte.‟ (Cosmographia 1544).

Das Erz wurde wie ein Tier behandelt, gejagt und gefangen und dann in einem Transformationsprozess gereinigt. So, als hätte es eine menschliche Seele, scheint das Erz Leid und Demütigung zu erfahren, während es von seinen Unreinheiten und seiner Korrumpierbarkeit befreit wird.

Coral Lambert: Garden of Fiery Delights. 2022, Molten cast iron performance on site at Industriemuseum Brandenburg an der Havel. Lambert taming the iron as part of the International Conference on Contemporary Cast Iron Art, Berlin 2022.
Coral Lambert: Garden of Fiery Delights. 2022, Molten cast iron performance on site at Industriemuseum Brandenburg an der Havel. Lambert taming the iron as part of the International Conference on Contemporary Cast Iron Art, Berlin 2022.

Durch das körperliche Zerren der glühenden Eisenplastiken entlang der Schienen im Boden der ehemaligen Brandenburger Gießerei legte ich das Augenmerk auf die Dinge, die verbunden sind mit dem imposanten Ergreifen des Eisens in seinen tiefen Erdformationen, mit seiner Zähmung. Tausende Tonnen von Waffen für den Kriegsfortschritt und ein weltumspannendes Schienennetz wurden an diesem Ort gegossen. Die Performance wird somit zu einer Art von zeitbasiertem Denkmal. Das eigene Engagement und die Einbeziehung anderer in solche Transformationsspektakel, sprich: Echtzeiterfahrungen im Umgang mit Prozessen und Materialien, erzeugen Balance und ein Gefühl für den wahren Wert der Dinge.

Marsha Pels: Fallout Necklace from Trophies of Abuse 2015-2018. Installation Lubov, NY 2020. Patinated cast aluminum, patinated steel, flame-worked glass, and powder-printed glass 213 x 300 x 450 cm.
Marsha Pels: Fallout Necklace from Trophies of Abuse 2015-2018. Installation Lubov, NY 2020. Patinated cast aluminum, patinated steel, flame-worked glass, and powder-printed glass 213 x 300 x 450 cm.

SR: Krieg, Missbrauch und Verlust sind fast immer auf die eine oder andere Art Bestandteil deiner skulpturalen Objekte und Installationen. Du benennst Filme und Bücher, die deine Arbeit inspiriert und angestoßen haben. Gibt es deiner Erfahrung nach Menschen, die eine bestimmte Herkunft, ein spezielles Geschlecht, ein gewisses Alter oder einen entsprechenden Bildungsgrad besitzen, denen sich deine Werke direkt erschließen, und gibt es auch Bevölkerungsgruppen, die sich damit schwertun?

 

Marsha Pels: Die meisten Menschen zeigen eine starke emotionale Reaktion auf meine Arbeit. Einige bewundern die Ironie, andere empfinden Abscheu. Ich bemühe mich darum, zahlreiche Interpretationsmöglichkeiten zuzulassen, allerdings reagieren nur Kinder völlig unverstellt. Da spielt es weder eine Rolle, wie alt sie sind, welcher Ethnie oder welchem Geschlecht sie sich zuordnen, noch, welche Privilegien sie besitzen. Kinder sind nicht korrumpiert durch politische Taktiererei. Sie reagieren unbeeindruckt im Schauen und Berühren. Da ich mit gefundenen Objekten arbeite, die ich zwar transformiere, die aber dennoch erkennbar bleiben, erfassen sie den „Inhalt“ und finden somit Zugang zur Skulptur. So wurde ich Zeugin von Verwirrung, Neugier und Verwunderung. 2021 hat meine Galerie Towards Bethlehem auf der NADA/Frieze in Miami gezeigt. Dabei handelt es sich um ein gusseisernes Karussellpony, das eine Gasmaske trägt und auf eine überlebensgroße, stählerne Gehhilfe montiert wurde. Ich beobachtete Eltern, die mit ihren Kindern auf unsere Koje zuliefen. Wenn die Eltern meine Plastik erblickten, lenkten sie ihre Kinder davon weg und versuchten, ihnen die Sicht auf das Objekt zu verstellen. Sie taten, als würde ein schädlicher Odem davon ausgehen. Aber wenn die Kinder die Arbeit entdeckten, rannten sie sofort entzückt darauf zu und versuchten, hinaufzuklettern und alles zu betasten.

Marsha Pels: Towards Bethlehem. 2021, Patinated cast iron, steel, leather, and rubber 147 x 71 x 91 cm.
Marsha Pels: Towards Bethlehem. 2021, Patinated cast iron, steel, leather, and rubber 147 x 71 x 91 cm.

SR: Du bringst einige deiner ikonischen Hitler-Vitrinen in die Ausstellung im Gütersloher Kreiskunstverein. Manch einer oder einem in Deutschland mag das erscheinen, als würdest du Eulen nach Athen tragen, zumal einige Hitler-Zitationen von berühmten männlichen Künstlern dieses Landes existieren, die die Karriere ihrer Schöpfer ziemlich befeuerten. Warum sollte sich dann zum jetzigen Zeitpunkt ein in Deutschland lebendes Publikum deine Vitrinen unbedingt ansehen?

 

Marsha Pels: The Hitler Vitrines entstanden nach meinem mit einem Fulbright-Stipendium unterstützten Aufenthalt in Emden, der Heimatstadt meiner Vorfahren väterlicherseits, wo ich mich mit dem Entwurf eines Holocaust-Denkmals befasst hatte. Ich fand mich damals in einem Deutschland wieder, in dem man drei männlichen Künstlerfürsten huldigte und begann zu untersuchen, wie jeder von ihnen auf seine Art Symbolik des Dritten Reichs verwendete. Die „Wunderkammer“-Aufladung der Beuys'schen Vitrinen von 1972 als sterilisierte Kabinette des banal Bösen, Richters Atlas (begonnen in den 60iger Jahren, zuerst ausgestellt 1972) sowie Onkel Rudi (1965), als auch Kiefers Occupations – wie beispielsweise Am Meer von 1970 – waren Schlüsselbilder. Sie dienten mir nach meiner Rückkehr aus Emden als Grundlage zur Schaffung dieser Werke, die sich als feministische Kritik daran verstehen. Sowohl The Hitler Vitrines als auch The Cleansing sowie die begleitende Fotoarbeit I Like Germany & Germany Likes Me fußen direkt auf der diskursiven Beschäftigung mit den von den „drei Jungs“ (wie sie damals in bestimmten Künstlerkreisen genannt wurden) vorgetragenen Legenden.

Der Terror antisemitischer und faschistischer Hassgruppierungen, die heute, 90 Jahre später, aus dem Morast der Vergangenheit aufzusteigen scheinen, beginnt die aktuelle politische Landschaft nicht nur in Deutschland zu überziehen, sondern vielerorts auf der Welt. Ich kann gar nicht sagen, wie beunruhigend das für mich ist. Als ich zwischen 1997 und 1999 in Deutschland den Holocaust untersucht habe, wurde ich andauernd bedrängt: „Das ist längst begraben und vergessen – warum buddelst du das jetzt wieder aus?“ Ich sehe The Hitler Vitrines als eine historisch begründete Antikriegsserie, 2001 geschaffen von einer amerikanisch-jüdischen Feministin. Unglücklicherweise erscheint diese Werkreihe heute eher als Voraussage aktueller ungeheuerlicher Entwicklungen.

Coral Lambert: Boobelisk 2023. Cast iron, gold leaf, copper with steel base 213 x 61 x 61 cm. © Alexander Jonsson
Coral Lambert: Boobelisk 2023. Cast iron, gold leaf, copper with steel base 213 x 61 x 61 cm. © Alexander Jonsson

SR: Ein großer Teil deiner Arbeit beschäftigt sich mit der ganzen Bandbreite von Material Memorials. Mehrere berühmte internationale Architekturbüros arbeiten derzeit zusammen an einem der ambitioniertesten und materialtechnisch aufwendigsten Bauprojekte unserer Zeit, The Line, einer Stadt für 9 Millionen Einwohner in der arabischen Wüste. Was erzählt uns ein Vorhaben dieser Art über unsere Zukunft, über die Entwicklung in Kunst und Design? Sind die hitzigen Diskussionen im Bereich der bildenden Kunst über skulpturale Setzungen im öffentlichen Raum, über Monumente und Denkmäler nicht unbedeutend angesichts der Freiheiten, der Möglichkeiten und der Macht, über die zeitgenössische Schwergewichte im Bereich der Architektur verfügen, um ganze Landstriche auf skulpturale Art und Weise zu überformen?

 

Coral Lambert: Wenn wir uns mit Monumenten, wie z. B. aus Ägypten stammenden Obelisken, außerhalb ihrer designierten Umgebung befassen, ergeben sich Fragen zu Eigentumsrechten, ihrer Verwendung als Trophäe eines Kriegsgewinns und der Bedeutung des Geländes im Zusammenspiel mit einem solchen Objekt. Man fragt sich: Ist es an der Zeit, diese Schätze wieder in ihren ursprünglichen Kontext und ihre Kultur zurückzubringen? Müssen wir sie vielleicht ersetzen? Und wenn ja, womit?

Der Boobelisk ist ein ironischer Vorschlag, kontroverse Obelisken zu ersetzen, wie beispielsweise den als Kleopatras Nadel bekannten, der 1881 im Central Park in New York aufgestellt wurde, ursprünglich Teil eines Zwillingspaares. 1877 nahm der Konsul der Vereinigten Staaten in Kairo den altägyptischen Obelisken als Geschenk der Khedive an. Die USA sollten unter anderem damit überzeugt werden, Ägypten gegenüber „freundlich-neutral“ zu bleiben, während Frankreich und Großbritannien versuchten, politische Macht über das Land zu gewinnen. Den Zwillingsobelisken mit beeindruckenden 21,9 m Höhe und 186 Tonnen Gewicht schleppte man auf dem eigens dafür gebauten Leichter Cleopatra nach London. Sowohl der New Yorker als auch der Londoner Obelisk wurden erstmals 1475 v. Chr. vor dem Pylon des Tempels des Sonnengottes Ra in Heliopolis aufgestellt. Nach Ende des Ptolomäischen Krieges und der Annexion Ägyptens durch das Römische Reich wurden beide nach Alexandria verbracht, von wo aus sie später auf die anderen Kontinente verschickt wurden.

Bei der Betrachtung meines aus reinem Gusseisen hergestellten Boobelisken bekommt man die Möglichkeit, über unsere Industrielandschaften als eine Art sakrales Gelände nachzudenken. Hier ließe sich der lebendige, atmende Charakter des Materials feiern: Eisen und Rost als Metaphern für das Leben. Ich sehe den Boobelisk installiert in einem einfühlsam gestalteten Gelände, dem die Materialien des Gussprozesses: Eisen, Schlacke, Vulkangestein, Kohle, Koks, Dung und Kalkstein einverleibt wurden, um das Gefüge und die Geschichte dieser Region im Fluss zu halten und sie damit zu erneuern.

 

Das Interview führte Susanne Roewer auf Englisch. Danke an Sybille Hayek für das Lektorat der Texte!

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