Ideen bewahren – Medienkunst erhalten
Bei den traditionellen Künsten wie Malerei und Bildhauerei geht es bei der Arbeit von Restaurator*innen darum, den natürlichen Verschleiß aufzuhalten und die Erscheinung des Kunstwerks zum Zeitpunkt seiner Entstehung wiederherzustellen, es also wieder in den Originalzustand zu versetzen. Konservator*innen stabilisieren das Material, das Künstler*innen gewählt haben, und versuchen, die dadurch entstandenen Veränderungen auf ein Minimum zu reduzieren.
Medienkunst hingegen ist ein komplexes Gebilde von vielen Objekten, Materialien und Medien wie Film, Tonband, Vinylplatte, Hardware etc., die eine Installation schaffen, die nach bestimmten Vorgaben ausgestellt werden muss. Künstler*innen können den natürlichen Verschleiß als Original-Charakteristik eines Werkes miteinbeziehen. Bei einigen Werken hängt die Existenz des Kunstwerks von der Gegenwart der Betrachtenden ab. Wie soll man also Technologien konservieren, die naturgemäß entworfen sind, um zusammenzubrechen (geplanter Verschleiß)? Wie soll man das Original identifizieren, wenn Reproduktion und Wandel seine Hauptcharakteristiken sind?
Das sind nur einige der konservatorischen Herausforderungen der Medienkunst, einer heutigen künstlerischen Praxis, die seit den 1960er Jahren auf der ganzen Welt ausgiebig erforscht wird.
Wir wollen einen genaueren Blick auf einige Beispiele werfen. Die 1984 von der italienischen Künstlerin Federica Marangoni geschaffene Video-Skulptur Maxi TV ist eine Holzstruktur, die einen riesengroßen Fernsehapparat simuliert. Das große Video ist eine Rückprojektion ihres früheren Videos Video Game von 1983, das mit Hilfe von Rechner gestützten Methoden geschaffen wurde, was zu dieser Zeit im Kunstbereich höchst innovativ war. Die „Knöpfe“ abseits des Bildschirms sind fünf tatsächliche Monitore, auf denen ihre Video-Performance Il volo impossibile von 1982 läuft und Video-Elemente, die in der Performance, einer Installation auf mehreren Kanälen, benutzt werden. Was also ist das Originalkunstwerk? Video Game, Il volo impossibile oder die Struktur, die ihr Zusammenspiel ermöglicht? Verändert sich der Wert des Kunstwerks, wenn es unterschiedliche Arten der Konvervierung gibt?
Noch ein anderer wichtiger Aspekt der Medienkunst muss erwähnt werden: sie muss funktionieren, um zu existieren. Ist Maxi TV ausgeschaltet, dann ist es nur eine Skulptur. Ein Gemälde bewahrt seinen Wert auch dann, wenn das Museum geschlossen und alles dunkel ist, aber das Video existiert nur, wenn der Monitor in der Ausstellung läuft. In der Medienkunst spielt das eine fundamentale Rolle in der präzisen Definition des Kunstwerks und ist kein zusätzliches Merkmal. Erinnern Sie sich an den ersten StarWars-Film? 1997 ging er nach einer Sonderpremiere und einer riesigen Werbekampagne in den Verleih. Es war ein großes Ereignis. Nichtsdestotrotz hat sich der Wert des Films im Fernsehen nicht geändert.
Im Gegensatz dazu ändert sich die Identität des Medienkunstwerks vollständig, wenn es bestimmte Bezüge verliert. Zen for Film (1965) von Nam June Paik, einem der Urväter der Medienkunst, ist ein 16-mm-Film, projiziert in Endlosschleife auf die Ausstellungswand. Das Kunstwerk basiert auf dem natürlichen Verschleiß des analogen Films, der ständig im Projektor läuft und Kratzer und Staub im Lauf der Zeit anhäuft. Das wahre Experiment und das wahre Kunstwerk gibt es nur im Ausstellungsraum, zusammen mit dem konstanten Ton des Projektors, der kontinuierlich den Film zerstört.
In anderen Fällen sind Kontext und Funktion des Kunstwerks nicht genug. Menschen ermöglichen dem Kunstwerk zu existieren. In der digitalen Installation Interactive Plant Growing (1992) von Christa Sommerer und Laurent Mignonneau berühren die Besuchenden lebende Pflanzen, die in der Installation verwendet werden. Durch die Interaktion entscheidet die jeweilige Person, wie und wann das Wachstum der 3D-Pflanzen in der Computerumgebung stattfindet, was simultan auf einem projizierten Bildschirm gezeigt wird. Ohne die Teilnahme der Leute würde dieses Werk nicht funktionieren und folglich nicht existieren.
Angesichts der komplexen und variablen Beschaffenheit der Medienkunst ist es schwierig, allgemeine Konservierungspraktiken zu skizzieren. Wichtig ist in jedem Fall, Erfahrungen zu teilen und zusammenzuarbeiten. Teamwork zwischen verschiedenen Erfahrungsfeldern ist essenziell, um einen 360° Blick auf das Kunstwerk werfen zu können und die besten Praktiken für seinen Erhalt aufzuzeichnen. Deshalb arbeiten Kurator*innen und Restaurator*innen heute mit Techniker*innen, Computerwissenschaftler*innen, Ingenieur*innen und Künstler*innen zusammen. Dasselbe geschieht auch zwischen Institutionen. Auf der einen Seite teilen wichtige Player wie Documentation and Conservation of the Media Arts Heritage and Matters in Media Art projects, Rhizome, Smithsonian Institute ihre Erfahrungen mit Open Source Tools. Auf der anderen Seite verbinden sich große Institutionen wie Tate Modern, das Zentrum für Kunst und Medien, Museum of Modern Art, Small Data und LIMA mit kleineren Organisationen und teilen die besten Arbeitsweisen. Als 1997 über 30 Organisationen beim ersten internationalen Kongress zusammenarbeiteten, war das das Ziel. Der Kongress hatte den provokanten Titel „Modern Art: Who cares“ in Amsterdam, gefolgt von „The International Network for the Conservation of Contemporary Art“ 1999, und dem zweiten Kongress „Contemporary Art: Who cares“ 2010.
Seither hat sich die Aufmerksamkeit auf neue Konservierungskriterien fokussiert: nicht nur Materialien, sondern auch intangible – nicht greifbare –Aspekte, wie Pip Laurenson von der Tate ausführt, also den Ausstellungskontext, die Erfahrung und die Bedeutung des Kunstwerks. Alessanda Barbuto und Laura Barreca von MAXXI in Rom fügen hinzu: „Es ist nicht länger ein einzigartiges Werk, das von einem Künstler oder einer Künstlerin geschaffen wurde, sondern ein Prozess der kulturellen Teilnahme, die das Publikum, das Werk selbst und das Museum miteinbezieht. Die Interpretation des Kunstwerks als Konzept, und nicht nur als physisches Objekt, ist heute gängige Praxis“. Eine Auffassung, die auch von Richard Rinehart, dem Direktor des Samek Art Museum, befürwortet wird, der dazu ermutigt, das Kunstwerk als musikalische Partitur zu denken, worin der Inhalt mehr Kernstück als das Medium ist.
Die Konservierungspraxis wird nun flexibel, offen für Fragen und verbunden mit der Produktion und dem Kontext des Ausstellens. Eine Debatte, die die Künstler*innen heute sehr stark involviert. Einer von ihnen, Rafael Lozano-Hemmer, hat Richtlinien geschaffen, wie man Schritt für Schritt Kunstwerke während des gesamten Schaffensprozesses dokumentieren kann, um Konservator*innen und Museen ein vernünftiges Interpretationswerkzeug an die Hand zu geben.
Medienkunstwerke sind komplexe Werke, die verschiedene Eigenschaften haben, die zuallererst verstanden, dokumentiert und dann gezeigt werden müssen. Die korrekte Dokumentation dieser Charakteristika ist tatsächlich der wichtigste Schritt im Konservierungsprozess und wird zukünftig eine wahrheitsgemäße Darstellung des Kunstwerks erlauben.
In Italien haben große Institutionen wie das Archiv der Biennale von Venedig die Digitalisierung von frühen audiovisuellen Medien wie Tonband und Film unternommen, um die Informationen, die darauf aufgezeichnet sind, zu retten und zu dokumentieren. Ein bedeutendes erwähnenswertes Projekt war die Zusammenarbeit zwischen der Contemporary Art Gallery in Ferrara und dem Restaurierungslabor „Camera Ottica“ in Gorizia 2012, die sich auf die Digitalisierung und Dokumentation von vielen Video-Kunstwerken des Ferrara basierten Fonds „Centro Video Arte“ spezialisiert hatten. Dieses Zentrum (1972-1994) war ein wichtiger Forschungsknotenpunkt für italienische Künstler wie Fabrizio Plessi, Federica Marangoni, Michele Sambin, Giuseppe Chiari und international bekannte wie Woody Vasulka, Marina Abramovic und Ulay.
Das Ministerium für Kultur unterstützt auf nationaler Ebene einige Projekte, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen und den italienischen Institutionen bei ihrer Dokumentation und vor allem ihrer Restaurierung zu helfen. Es aktualisiert gerade das italienische Dokumentationszentrum für Kunstwerke Opere/Oggetti d’Arte Contemporanea (OAC), um zeitgenössische Kunstwerke zu beschreiben. Außerdem konzentriert sich das aktuelle Projekt des Ministeriums „VideoArte in Italia“ vor allem auf audiovisuelle Kunst. Mit Hilfe einer umfassenden Erhebung versucht das Projekt, das gesamte audiovisuelle Erbe Italiens zu dokumentieren und Verbindungen zwischen den Institutionen zu schaffen.
Aufgrund meiner aktuellen Erfahrung möchte ich als Beispiel für eine wachsende Aufmerksamkeit das Katalogprojekt der Institution für zeitgenössische Kunst „Careof“ in Mailand erwähnen. Die Projektleiterin, Doktor Lisa Parolo, und ich entwickeln eine Datenbank, die benutzt werden kann, um die audiovisuellen Kunstwerke im Careof Archiv zu dokumentieren, die den Richtlinien von OAC und dem Digitalisierungsprojekt für zeitgenössische Kunst der virtuellen Bibliothek Europeana folgen.
Bei der Medienkunst können also verschiedene Ansätze auf einer konkreten und abstrakten Ebene nebeneinander bestehen. Konservierung ist vor allem Dokumentation und Forschung, bei der verschiedene Expert*innen mit nicht traditionellem Hintergrund eng mit den Künstler*innen zusammenarbeiten. Entscheidungen müssen getroffen und abgewogen werden – zwischen der technologischen Alterung, den Möglichkeiten der Institutionen und dem Willen der Schöpfenden. Die Bedeutung des Kunstwerks – wie oben von Laurenson beschrieben – bestimmt in erster Linie, welche Veränderungen und Ausbesserungen da, wo sie nötig sind, erlaubt sind.
Außerdem erregen Kunstwerke, die auf virtuellen Technologien basieren wie Memory Theatre (1997) von Agnes Hegedüs das kürzlich erwachte Interesse der Tate Modern und des Zentrums für Kunst und Medien (ZKM), Karlsruhe. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf den Technologien der virtuellen Realität, wie man die frühen VR-Versuche von den 1990ern an in einer Zeit ausstellt, in der sich die Technologie, die die Virtuelle Realität erst ermöglicht, vollständig gewandelt hat. Sollte sich die Schnittstelle, über die Besucher*innen mit dem Kunstwerk interagiert, mit den modernen Besucher*innen selbst verändern?
In der Welt der Medienkunst liegen viele Herausforderungen vor uns. Bleiben Sie dran!
Autorin: Vittoria Gelati
Vittoria Gelati ist italienische Doktorandin der Kunstrestaurierung an der ABK Stuttgart. Ihre Forschung konzentriert sich auf Dokumentations- und Konservierungsstrategien für komplexe zeitbasierte Medienkunstwerke. Derzeit arbeitet sie mit dem Ministero della Cultura für das Projekt "VideoARte in ItaliA", der Vereinigung für zeitgenössische Kunst Careof in Mailand und dem Museum ZKM | Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe zusammen.
Projektleitung / Supervision: Dr. Lisa Parolo
Lisa Parolo promovierte in Art and Audivisual Studies. Nach drei Jahren als Post-Doctoral Research Fellow an der Universität von Udine ist sie nun als freiberufliche Beraterin für viele zeitgenössische Kunstsammlungen in den Bereichen Konservierung, Digitalisierung, Ausstellungs- und Archivierungspraktiken tätig. Sie hat verschiedene Bücher herausgegeben und eine Reihe von Essays über italienische Videokunst und Experimentalfilm geschrieben.
Dieser Arikel wurde im Juli 2021 veröffentlicht.