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 Vernetzt. Netzwerke (nicht nur) für Künstlerinnen 

“Keine Sonderrechte, sondern Menschenrechte!”, fordert Clara Zetkin, eine Feministin der ersten Stunde, im Jahr 1910. Seit über hundert Jahren kämpfen Frauen für ihre Gleichberechtigung, leider nicht immer erfolgreich; Gerade in Domänen, die seit Jahrhunderten in männlicher Hand sind, scheitern viele Frauen nach wie vor.

Der Kunstbetrieb gehört traditionell zu diesen Bereichen, hier haben es Künstlerinnen nicht nur mit dem vieldiskutierten Gender-Pay-Gap zu tun, sondern auch mit einem Gender-Show-Gap, wie auch der Text von Josephina Posch aufzeigt. Nur gegenseitige Unterstützung und Kooperation können die Situation ändern. Viele Künstlerinnen setzen deswegen auf Vernetzung. 

Die Idee einer Organisation ausschließlich für Frauen ist schon in der ersten Hälfte des 20.Jh. entstanden, frühe Beispiele sind Zonta und Soroptimist. Beides sind Netzwerke für berufstätige Frauen in verantwortungsvollen Positionen. Beide haben als Nichtregierungsorganisationen dennoch Repräsentantinnen bei der UNO, UNESCO, UNICEF und WHO. 

Auch im Kunstbereich gibt es Vereinigungen die auf weibliche Stärke und Gemeinsamkeit setzen. Wir haben mit zwei dieser Vereinigungen gesprochen:

SALOON Berlin

SALOON-Event "Why Have There Been No Great Women Artists?"*, ACUD, Berlin 2017, Foto ©Jonny Star


Das Netzwerk SALOON Berlin wurde 2012 von der Kunsthistorikerin und Autorin Tina Sauerlaender gegründet und hat mittlerweile Repräsentantinnen aus unterschiedlichen künstlerischen Feldern in mehreren europäischen Großstädten. Ornella Fieres, Künstlerin und Vorsitzende des Netzwerks beantwortete uns ein paar Fragen:

Was SALOON ausmacht, ist der Fokus auf persönliche Interaktion und gegenseitige Unterstützung. Welche Kooperation oder Veranstaltung bzw. welches Ereignis ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?

Der SALOON Berlin existiert seit 2012. Seither sind innerhalb des Netzwerkes zahlreiche Kooperationen zwischen den Mitgliedern entstanden. Dazu gehören Gruppen-Ausstellungen mit SALOON Künstlerlinnen aber auch interdisziplinäre Koproduktionen, zum Beispiel von Kunstwissenschaftlerinnen und Kuratorinnen. Von unseren öffentlichen Events bleibt uns besonders die erste SALOON Ausstellung in der SEXAUER Gallery, sowie unsere Kollaboration Invisible To Whom? Not To Me mit dem Distinguished Diva Collective im Gedächtnis. Zudem haben wir bei der jährlich stattfindenden Vortragsreihe Why Have There Been No Great Women Artists? mit Performing Encounters die Möglichkeit, vortragende Mitglieder aus den SALOON-Städten weltweit, mit lokalen Wissenschaftlerinnen zu vernetzen. Dieses Event ist öffentlich und findet immer wieder großen Zuspruch. 

Was glauben Sie, macht Ihr Netzwerk darüber hinaus besonders stark?

Seit einigen Jahren breitet sich unser Netzwerk weltweit aus und existiert, neben dem Standort in Berlin, in Barcelona, Brüssel, Dresden, Hamburg, London, Paris, Prag, Tel Aviv und Wien. Weitere Städte werden folgen. Was die Mitglieder an allen Orten vereint ist der Wunsch nach professioneller und produktiver Vernetzung. 2018 haben wir den ersten internationalen Austausch zwischen den Netzwerken organisiert: Mitglieder aus den SALOON-Städten konnten zu den anderen Standorten reisen und wurden dort mit einem ausgiebigen kulturellen Programm empfangen. Hieraus sind viele Freundschaften und professionelle Kooperationen entstanden. Unser Netzwerk ist also international, professionell und zugleich persönlich und freundschaftlich. Alle SALOON-Boards tauschen sich in monatlichen Gesprächen aus und arbeiten unentgeltlich. Dies funktioniert auch durch die Unterstützung unserer Mitglieder. 

Sie haben gemeinsam mit Performing Encounters die Event-Reihe Why Have There Been No Great Women Artists? ins Leben gerufen. Der Titel stammt von dem wegweisenden gleichnamigen Text von Linda Nochlin aus dem Jahr 1971. Glauben Sie, dass die Kunstwelt heute schon weiter ist?

Seit 1971 läuft sicher einiges in die richtige Richtung. Der Fortschritt ist jedoch viel zu langsam. In den 1980er Jahren war der Anteil der Kunst von Frauen in den Museen weltweit bei knapp 5%. Heute, im Jahre 2020, sollte man meinen, dass sich dies geändert hat. Leider ist dies nicht der Fall: Ob in öffentlichen Sammlungen, Galerievertretungen oder Kunstpublikationen – weibliche Künstlerinnen sind weit unterrepräsentiert. Die Mitglieder des SALOON versuchen mit ihrer Arbeit, international gegen diesen Trend zu wirken.

SALOON-Event "Why Have There Been No Great Women Artists?"* Part II, ACUD, Berlin 2018, Foto © Darja Zub


MalerinnenNetzWerk Berlin-Leipzig (MNW)

Eine weitere noch recht junge, aber sehr aktive Organisation, die sich für Künstlerinnen einsetzt, ist das MalerinnenNetzWerk Berlin-Leipzig (MNW). Wir haben mit Kathrin Landa, der Initiatorin des Projektes, über das Netzwerk gesprochen:

Wie ist das Netzwerk entstanden und wie organisieren sie sich?

2015 gründete ich das MNW weil ich spürte, das Bedürfnis ist da, es ist an der Zeit.  Seit 2016 ist das MalerinnenNetzWerk ein gemeinnütziger Verein, Tanja Selzer ist seit letztem Jahr die Vorsitzende. Berlin und Leipzig wurden gewählt, weil es spannende Städte mit lebendigen Kunstszenen sind, zwischen den Städten existiert eine Art Magnetismus. Alle Künstlerinnen aus dem MNW leben hier oder haben hier ihre Ateliers.

In Leipzig, vor ein paar Jahren noch ein Geheimtipp, mittlerweile eine Hipsterstadt, erscheint mir die Malereiszene in der öffentlichen Wahrnehmung merkwürdiger Weise nach wie vor eher männlich dominiert. Obwohl es in Leipzig phantastische Malerinnen gibt, sind die finanziell erfolgreichsten Vertreter der sogenannten Neuen Leipziger Schule mit Abstand nach wie vor Männer. In Berlin ist dieses Ungleichgewicht nicht auf den ersten Blick zu spüren, hier gibt es viele Netzwerke und politisch aktive Künstlerinnen. Bei genauerer Betrachtung existiert jedoch auch hier ein enormes Ungleichgewicht, wie die Studie von IFSE von 2018 zeigt. Sie besagt, dass Künstlerinnen in Berlin durchschnittlich 28 Prozent weniger verdienen als Künstler, die wiederum 22 Prozent mehr Einzelausstellungen haben. Spitzenwerte lieferte das Gallery Weekend im Frühjahr 2018, wo Künstler 40 Prozent mehr Einzelausstellungen hatten als Künstlerinnen. Dies zeigt, die  Notwendigkeit, sich für mehr Gleichstellung bei Ausstellungen und Preisen einzusetzen, ist in beiden Städten enorm. Schöner Weise ist festzustellen, dass seit 2015 u.a. auch durch das MNW der Diskurs entfacht ist. Heute ist Vieles in Bewegung gekommen. Dies ist auch auf dem Gelände der alten Baumwollspinnerei in Leipzig zu spüren, wo inzwischen sehr renommierte Galerien Ausstellungen ausschließlich mit Künstlerinnen zeigen, und das wie selbstverständlich. Außerdem werden dort mehrere Galerien inzwischen von Frauen geführt. 

Das MalerinnenNetzWerk hat keine Hierarchie – zuerst wird abgestimmt, und erst dann sind wir handlungsfähig. Die Mitglieder treffen sich alle 6 Wochen, abwechselnd in Berlin und Leipzig. Bei jedem Treffen steht eine Künstlerin mit ihrem Werk im Fokus. Dabei kommt es immer zu einem spannenden Austausch und wenn sich 29 starke Persönlichkeiten treffen, kann es auch Diskussionen geben. Aber genau das macht die Runde aus. Die Gruppe ist nicht zu groß, jeder kennt jeden und darf sich frei äußern. 

Ziel des MNW ist es, eher klein und übersichtlich zu bleiben und nichtsdestoweniger mit anderen Künstler*innen, Kurator*innen und anderen Netzwerken zu kooperieren.

Die Malerinnen setzen sich mit ganz unterschiedlichen Sujets, Techniken und Erlebnissen auseinander. Was haben Sie miteinander gemein?

Viele Künstlerinnen im MNW malen figurativ – eine Tradition, die in die DDR-Zeit zurückzuführen ist. Die ist jedoch kein bewusstes Konzept. Das MalerinnenNetzWerk möchte sich breit aufstellen und nicht dogmatisch auftreten. Wir haben viele unterschiedliche Haltungen in der Gruppe – die einen sind feministisch und sehr politisch, kämpfen für die Einführung von Frauenquoten, bei anderen steht ausschließlich die Kunst im Fokus und die Möglichkeit, durch sie Denkanstöße zu evozieren. Gemeinsam haben wir alle auf jeden Fall das Anliegen der Stärkung von Frauen auf dem Kunstmarkt. Mehr Sichtbarkeit für die Kunst von Frauen wird die Situation ändern.

Welche Eigenschaften sollten neue Mitglieder mitbringen? Was ist das besondere am MNW?

Wir nehmen nur eine Künstlerin pro Jahr auf. Eines unserer Mitglieder stellt die Bewerberin und ihre Werke vor und die Gruppe stimmt über die Aufnahme ab. Andere Kriterien gibt es nicht. Biologisches Geschlecht spielt übrigens keine Rolle. Wir nehmen auch Mitglieder auf, die sich als Frauen fühlen und sich für Gleichstellung einsetzen wollen.

Das Besondere an MNW ist das hohe künstlerische Niveau der Diskussion. Irgendwann nach dem Studium merkte ich, dass kein/e Ansprechpartner*in mehr da war – und als Künstler*in braucht man Kritik und Austausch, um die Isolation zu vermeiden. Bei der Ausstellung Die bessere Hälfte gab es eine Podiumsdiskussion und ich spürte, was für eine Riesenwut die Frauen im Bauch tragen und wie viel verschwiegen wird. Am nächsten Tag entwickelte ich das Konzept für das MNW und schrieb alle Malerinnen an, die ich in Berlin und Leipzig kannte. Begonnen haben wir mit circa 15 Malerinnen, heute sind wir 29 und haben bereits zahlreiche spannende Projekte verwirklicht, die uns Impulse für das weitere Schaffen geben. Die letzte große Ausstellung VOIX im Museum der bildenden Künste Leipzig (kuratiert von Isabelle Dutoit, Nina  K. Jurk, Verena Landau, Maria Sainz Rueda, Kathrin Thiele) hat den Diskurs um Frauen in der Malerei angeregt und wir sind stolz darauf.

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Die Mitglieder des MalerinnenNetzWerk Berlin-Leipzig (MNW)


Beide Interviews zeigen deutlich, wie weit der Kampf und Gleichberechtigung von Künstlerinnen und Künstlern von seinem Ende entfernt ist. Einen Eiblick in die Zahlen gibt der Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler mittels regelmässiger Umfragen. Auch Die Studie “Frauen in Kultur und Medien”  zeichnet ein ernüchterndes Bild.

Es ist aber nicht nur wichtig an der aktuellen Situation zu arbeiten, sondern auch einen differenzierteren Blick auf die Vergangenheit zu werfen. Hierbei leistet die Organisaton AWARE: Archives of Women Artists, Research and Exhibitions einen wichtigen Beitrag.  Die non-profit Organisation hat es sich zur Aufgabe gemacht, Informationen über Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts zu recherchieren, Aufzubereiten und Zugänglich zu machen. Das englisch- und französischsprachige Magazin bietet einen breiten und wissenschaftlichen Überblick über die internationale Kunstszene des vergangenes Jahrhunderts und der Gegenwart.

In den meisten Branchen, und das ist vielleicht der Lichtblick, gibt es inzwischen Netzwerke von Frauen, die sich gegenseitig stärken: ob Berufs- und Branchen-Netzwerke (webgrrls e.V., Deutscher Frauenrat, Unternehmerfrauen im Handwerk Bayern, Deutscher Akademikerinnenbund e.V. etc.), Service-Clubs (Soroptimist International, Zonta), Vereinigungen, die international agieren oder die regional aktiv sind, Netzwerke für Mütter (MumsLikeUs) oder Netzwerke für Frauen in Buchhandel und Verlagswesen.

Sie alle haben erkannt: nur gemeinsam können wir die Situation verändern!

 

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Autorin: Anastasia Kozlova

Anastasia ist Kunsthistorikerin und war bis März 2020 Praktikantin bei sculpture network.

 

 

Titelbild: SALOON-Event "Why Have There Been No Great Women Artists?"* Part II, ACUD, Berlin 2018, Foto © Darja Zub

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