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Kunst und Brexit

Ein Gespräch mit Künstler und sculpture network Mitglied Johannes von Stumm über den Brexit und die Auswirkungen auf Künstler*innen und Kunstmarkt.

Allgemeiner Überblick: Vereinigtes Königreich Großbritannien und der Brexit

Der Austritt von Großbritannien aus der Europäischen Union - „Brexit“

Das Wort Brexit entstand durch die Verschmelzung der beiden Begriffe „British“ und „Exit“.
Der Austritt von Großbritannien erfolgte am 31. Januar 2020. Seitdem ist GB ein Drittstaat, also ein Staat, der weder Mitglied in der EU noch der Europäische Freihandelsassoziation EFTA ist. Bis zum 31. Dezember 2020 besteht eine sogenannte Übergangsphase, in der weitere Verhandlungen über die Beziehungen zwischen GB und der EU erfolgen. Wird kein Abkommen geschlossen unterliegt der Handel den Regeln der Welthandelsorganisation.
Eine eigene Problematik stellt die Grenze zwischen Irland und dem Vereinigten Königreich dar. Hier soll der Grenzübertritt und der Warenhandel nicht verkompliziert werden, da ansonsten Unruhen in der Bevölkerung die Folge sein können.
Der Austrittstermin wurde mehrere Male verschoben, was auch daran lag, dass der/die Premierminister*in nicht die erforderlichen Mehrheiten in den Parlamentsabstimmungen bekamen.
 
Warum Brexit?
 
Ein größerer Teil der Einwohner Großbritanniens erhoffte sich vom Austritt finanzielle Einsparungen gegenüber der EU. Die nun frei werdenden Gelder sollten im eigenen Staatshaushalt verbleiben. Befeuert wurde dies durch Boris Johnson, der im Wahlkampf für einen Austritt warb und diese Summe, die im Moment von GB an die EU entrichtet wird, für den National Health Service bereitstellen wollte. Ein weiterer Punkt für einen Austritt der Brexit-Befürworter war, dass das Land die Einwanderungspolitik wieder selbst kontrollieren sollte und die Einwanderung einzudämmen sei. Diese Argumente, zusammen mit einer starken Werbung für den Austritt und dessen (vermeintlichen) Vorteilen führte dazu, dass beim EU-Mitgliedschaftsreferendum am 23. Juni 2016 die Bevölkerung mit 51,89% für einen Austritt stimmte. Diese Entscheidung war sehr knapp, allerdings war dieser Vorgang eine reine Volksbefragung, die weder für die Regierung noch das Parlament bindend war. Schottland hatte bei dieser Abstimmung für den Verbleib in der EU gestimmt.
 
Wirtschaftliche Entwicklungen

Es wird erwartet, dass durch den Brexit wirtschaftliche Einbußen in Großbritannien und auch in der EU auftreten. Großbritannien importiert eine Vielzahl von landwirtschaftlichen Produkten und Waren des täglichen Gebrauchs aus der EU sowie aus anderen Ländern. Es zeichnet sich ab, dass sich die Produkte aus dem europäischen Raum durch neue Zollbestimmungen verteuern werden. Ebenso wird befürchtet, dass sich durch die notwendig werdenden Zollkontrollen und neuen Einfuhrbestimmungen der Warenhandel in GB verlangsamt, da die Wartezeiten zur Abfertigung an den Grenzen längere Zeitspannen benötigen.
 
 
 
 
Emptiness II, photo by Dunning Michael.jpeg
Johannes von Stumm, "Volle Leere II", Edelstahl, 200 x 130 x 100 cm, Foto: Michael Dunning

Ich habe  mit dem Künstler Johannes von Stumm über den Brexit und seine Folgen für Kunst und Kultur in Großbritannien gesprochen.

Johannes von Stumm, geboren 1959 in München, ist Bildhauer und lebt und arbeitet seit 1995 in Oxfordshire. Die bevorzugten Materialien für seine raumgreifenden Plastiken und Installationen sind Stein, Glas, Holz und Metall. Darüber hinaus arbeitet er auch mit dem Raum zwischen einzelnen, zusammengehörenden Figurelementen und schafft dadurch immaterielle Plastiken. Er ist President of the Oxford Art Society und President of Open Studios West Berkshire and North Hampshire, und ausserdem Past President Royal Society of Sculptors und Gründungsmitglied von Sculpture Network.

Lieber Johannes, wie siehst Du das Thema Brexit und welche Beeinträchtigungen sind für die Künstler*innen in GB spürbar?
Ich sehe das Thema negativ. Es gibt Befürchtungen, dass die Arbeit als Künstler und das Leben in Großbritannien erschwert wird. Werke von Künstler*innen aus Großbritannien sind in den Mitgliedsländern der EU wahrscheinlich nur noch mit Zollerklärungen zu verkaufen. Es ist zu erwarten, dass bei einem Versand von Werken per LKW diese über die Zollkontrollstellen abgefertigt werden müssen. Da an dieser Stelle alle Waren und Lebensmittel, die zwischen der EU und GB gehandelt werden, abgewickelt werden, ist mit langen Wartezeiten an diesen Punkten zu rechnen. Das gleiche gilt für Materialien, die für die Herstellung von Werken aus der EU nach GB eingeführt werden. Zudem ist es möglich, dass sich diese verteuern. So ist davon auszugehen, dass es zu langen Wartezeiten an den Abfertigungspunkten bei der Einfuhr von Gütern nach GB kommt.
 
Welche Beeinträchtigungen ergeben sich für den Kunstmarkt?
Nach der Übergangsfrist wird bei Ausfuhr der Waren in die EU Zoll erhoben. Dies passiert, wenn Kunstwerke zu einer Ausstellung in ein Mitgliedsland der EU verbracht werden, aber auch bei einem Verkauf der Werke. Die Taxe für Kunstwerke beträgt im Moment 10 %. Die jeweilige Summe ist bei jeder Ausfuhr der Werke, also auch bei Ausstellungen, in die EU unverzüglich zu begleichen. Sind Kunstwerke sehr teuer, kann beispielsweise ein sechsstelliger Betrag fällig werden. Hinzu kommt, dass in wirtschaftlich unsicheren Zeiten Kunst und Kultur einen niedrigen Stellenwert in der Gesellschaft bekommen und als nicht mehr so wichtig angesehen werden. Kunst wird verstärkt als Luxusgut wahrgenommen und weniger stark nachgefragt. Öffentliche Investitionen in Kunst und Kultur werden vermindert oder gestrichen und auch private Förderer halten sich mit dem Kauf von Kunstwerken eher zurück und verschieben dies auf einen späteren, wirtschaftlich besseren Zeitpunkt. Dies führt dazu, dass Kunstwerke beispielsweise bei Auktionen zu niedrigeren Preisen verkauft werden oder nur mehr renommierte Künstler*innen und Auktionshäuser oder Galerien sich am Markt behaupten können. Kunst als Investitions- und Spekulationsobjekt ist in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nur für eine sehr betuchte Klientel möglich, die vornehmlich in etablierte Künstler*innen investiert. Diese Umstände führen zu Umsatzeinbußen in der gesamten Branche und sind vor allem für aufstrebende junge Künstler*innen, die noch nicht so bekannt sind und demnach noch kein sicheres finanzielles Einkommen generieren konnten, umso härter. Es steht zu befürchten, dass die kreativen Industrien ihre Zentren von London auf den Kontinent verlagern.
 
 
Johannes von Stumm, "Kugel", Glas, Bronze, Edelstahl, Kalkstein, Granit, Holz, 36 x 46 x 43 cm
Johannes von Stumm, "Kugel", Glas, Bronze,
Edelstahl, Kalkstein, Granit, Holz,
36 x 46 x 43 cm
Bestehen Bestrebungen von Künstler*innen, Galerien, Museen, Sammler*innen das Vereinigte Königreich zu verlassen, vor allem wenn noch ein zweites Standbein in einem EU-Land vorhanden ist und denkst du ebenfalls darüber nach?
Es ist bekannt, dass das „European Union Youth Orchestra“, gegründet 1976, seinen Sitz von London nach Ravenna in Italien verlegt. Wenn Künstler*innen oder Galerien ein zweites Standbein in Europa besitzen, werden innereuropäische Verkäufe oder Ausstellungen über diese Destinationen einfacher und kostengünstiger abzuwickeln sein. Auch für Künstler*innen, die vorwiegend in der EU ausgestellt haben, könnte ein zweites Atelier auf dem Kontinent bessere Ausgangs- und Vermarktungschancen am Kunstmarkt generieren. Auch Firmen verlagern ihren Hauptsitz in die EU. Dyson beispielsweise hat seinen Firmensitz nach Singapur verlagert. Für mich  wäre ein weiteres Atelier innerhalb der EU für die Abwicklung von Ausstellungen sehr hilfreich.
 
Wie sieht der Austausch zwischen den Künstler*innen in GB und EU in Zukunft aus?
Der Austausch künstlerisch oder auch wissenschaftlich gesehen nimmt ab. Auslandssemester werden komplizierter und auch die Finanzierung dieser wird teurer, da Studierende aus der EU nun wie aus allen anderen Staaten einen höheren Semesterbeitrag bezahlen müssen. Gleichermaßen beantragen viele (mehrsprachige) Personen einen zweiten Pass und bewerben sich auf dem Kontinent. Viele qualifizierte Menschen ziehen aufgrund der unklaren und befürchteten negativen Auswirkungen in die EU um.
Ebenso werden sich Künstler*innen aus Europa überlegen, ob sie für einen längeren Zeitraum oder die Verwirklichung eines Projekts nach Großbritannien gehen sollen, da nicht klar ist welchen Status sie als Ausländer haben.
 
Gibt es positive Entwicklungen in der Kunst, bei Kunstschaffenden oder für den Kunstmarkt, wenn der Brexit ausgeführt wird?
Im Moment sind keine positiven Auswirkungen des Brexit für die Kunst oder den Kunstmarkt bekannt. Ob sich das noch ändert ist nicht abzusehen, aber unwahrscheinlich.

Wird der Brexit in GB als künstlerisches Thema gesehen?
In der bildenden Kunst nicht sehr. Allerdings verstärkt sich in der Kunst das Thema der Sozialkritik, vor allem in Performances und den Aktionen, insgesamt ist die Kunst weniger bildhaft. Des Weiteren gibt es Comedy-/Kabarettabende zum Thema Brexitbei denen entweder über die Gegner oder die Befürworter des Brexit bissig gesprochen wird. Auch in politischen Karikaturen ist der Brexit sehr beliebt.
 

Kunst über den Brexit

Auch die Arbeiten von Johannes von Stumm können politisch gelesen werden. Drei seiner Kunstwerke möchte ich hier zum Thema Brexit vorstellen.
 
Twenty Four, Screen, 855.jpeg
Johannes von Stumm, "Vierundzwanzig", Glas, Bronze, Edelstahl, Kalkstein, Granit, Holz, 40 x 49 x 49 cm
Die Werke „Kugel“ und „Zwölf“ bestehen aus den Komponenten Kalkstein, Granit, Glas, Bronze und Edelstahl, das Werk „Vierundzwanzig“ zusätzlich auch aus Holz. Diese Arbeiten symbolisieren das Miteinander. Genauso wie die Komponenten auch einzeln für sich stehen könnten, sind sie in der Gesamtheit doch mehr als die Summe ihrer Teile. Sie befinden sich im Gleichgewicht und wirken dennoch zerbrechlich. Nimmt man, theoretisch gesehen, auch nur ein einziges Teil fort, so funktioniert das Kunstwerk nicht mehr und verliert seinen Zusammenhalt. Bei den Arbeiten von Johannes von Stumm ist die Balance und das Zusammenwirken, das Einbringen von verschiedenartigen, auch gegensätzlichen Segmenten, immer ein großer Bestandteil des Werkes. Diese Kunstwerke symbolisieren eine Allianz die aus unterschiedlichen Teilen besteht und haben einen Bezug zum Thema der europäischen Gemeinschaft, die nur funktionieren kann wenn alle am gleichen Strang ziehen, niemand vergessen wird und jeder sich der Einheit verbunden fühlt. Entfernt man hier einen Teil, oder, wie im Fall des Austritts des Vereinigten Königreiches Großbritannien aus der EU beim Brexit, wird das Gleichgewicht des Verbundes empfindlich gestört und ein Nicht-mehr-Funktionieren oder ein Zusammenbruch des Systems wird wahrscheinlicher. Auch der weggenommene (oder austretende) Teil steht plötzlich nur noch für sich allein und ist von allen Seiten angreifbarer geworden. Die Arbeiten von Johannes von Stumm zeigen eine Gemeinschaft in Harmonie, ein gemeinsames Wachsen und einen großen Zusammenhalt auf. Der Künstler spiegelt gekonnt ein Miteinander verschiedenster Materialien, die sinnbildlich für eine EU vor dem Brexit stehen.
 
Emptiness I, Stainless steel, 752 print.jpeg
Johannes von Stumm, "Volle Leere", Edelstahl Guss, 20 x 21 x 10 cm

In Antwerpen in der Galerie Verbeeck - van Dyck war geplant neue Arbeiten von Johannes von Stumm in der Zeit vom 27. März 2020 bis zum 26. April 2020 zu zeigen. Leider hat die weltweite Coronakrise das Ausstellen von künstlerischen Objekten im Moment verhindert. In der Ausstellung solllten die „Immateriellen Figuren“ zu sehen sein. Aktuell ist noch unklar wann die Kunstobjekte dort in der oben genannten Galerie zu sehen sein werden.

Bei diesen „Immateriellen Figuren“ geht es um ein Spannungsverhältnis zwischen der Leere und dem sie umgebenden Material, das zugleich auch die „Form“ der Leere, der Immaterialität ergibt. Diese Arbeiten des Künstlers reflektieren symbolhaft inneren Zusammenhalt und Stabilität, bei dem die einzelnen Teile hinter der Alles überstrahlenden, starken und kraftvollen Leere zurücktreten und diese leicht und lebendig wirken lassen.

Wir danken Johannes von Stumm für das interessante Gespräch!

 
 
 
 
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Autorin: Dr. Eva Daxl

Eva Daxl absolvierte ein Kunststudium mit plastischen Schwerpunkt. In ihrer PhD-Arbeit schrieb sie über das Thema keramische Materialien in der Kunstkritik. Sie ist daher mit dreidimensionalen Kunstwerken In Theorie und Praxis vertraut.

 
 
 
 
Titelbild oben: Johannes Stumm, "Zwölf" Glas, Bronze, Edelstahl, Kalkstein, Granit, 54 x 54 x 54 cm

Galerie

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